345 den Nationalreichthum als den Zustand zu denken, in welchem ein Volk ohne zu arbeiten, nur genießen könnte. An diesem lrrthurn ging Spaniens Macht und Wohlstand ein Jahrhundert nach der Entdeckung Amerika's zu Grunde. Ebensowenig aber ist der Gedanke zulässig, dass es einem Volke freistehen könne, nach Reichthum zu streben oder nicht. Was die Aufgaben eines Volkes erheischen, das muss geschehen; hier ist jeder Verzicht unzulässig. Und die Aufgaben der Völker, die an dem großen Werke der Civilisation mitarbeiten wollen, sind -von jeher so große gewesen, dass sie auch immer nach Reichthum streben mussten. Die Ge- schichte ist unerbittlich über solche Gemeinwesen hinweggeschritten, die sich keine großen Zwecke gesetzt hatten. So steht also das Streben nach Reichthum bei ganzen Völkern in innigster Beziehung zu ihren politi- schen Aufgaben. Es ist eine innere Nothwendigkeit, wie das Streben nach politischer Selbsterhaltung. Die Wege, auf welchen die Völker das Ziel des Nationalreichthurns zu erreichen hoEten, sind sehr verschieden gewählt worden. Doch zieht sich ein einheitlicher Grundgedanke durch die ganze Entwicklung. Die antike Welt hatte eine sehr beschränkte Vorstellung vom Nationalreich- thum, da ihre politische und wirthschaftliche Abgeschlossenheit des Staatswesens ein Axiom war und sie fremden Gemeinwesen keine gleich- berechtigte Existenz zuerlfannte. Soweit Nationalreichthum vermehrt werden sollte, konnte man sich das nur durch Erorberung fremden Territoriums denken. Auch dem Mittelalter fehlte der politische Inhalt des Reichthums- begriffs; im engen Kreise schloss sich das Volk hier für die wichtigsten Zwecke seines Lebens ab und suchte sich hier auch selbst zu genügen. Erst mit der Entdeckung der neuen Welt entsteht der volle Begriff des Nationalreichthums: das Volk sollte nicht nur genug haben für den eigenen Bedarf, sondern auch viel haben im Vergleich zu anderen Völkern. Und solcher Reichthum war allein durch innere Wirthschaft nicht zu erlangen; im Wettbewerbe mit anderen Völkern musste man ihn zu erringen trachten. Dieser Gedanke führte in dem sogenannten Mercanti- lismus zuerst zu wechselseitigen Versuchen der Ausbeutung durch den auswärtigen Handel. Erst später, als sich die Staaten immer mehr durch Prohibitivzölle gegen einander absperrten, war die Aufmerksamkeit wieder mehr auf die eigene Production gelenkt und zuerst durch Pflege der Exportindustrie die Ueberlegenheit auf den fremden Märkten angestrebt. Hatte mit dieser Wendung der Mercantilismus auch einen unleugbaren Fortschritt gemacht, so blieb er doch in einseitiger Ueberschätzung des Ausfuhrhandels für das Problem des Nationalreichthums befangen. i Derselbe Gedankengang aber, der schon den Mercantilismus zur Pflege einheimischer Industrie geführt, wirkte fort. Man fand bald, dass auch der günstigste Export von Fabricaten wenig bedeute gegenüber der gesammten Production eines Volkes, dass der Handelsgewinn auf fremdem Markte stets unsicher, der Gewinn der Bodenproduction dagegen jederzeit