Ueber das Verhältniss der Architektur zur Kunstindustrie. V o r t r a g , gehalten im Oesterr. Museum für Kunst und Industrie in Wien am tS. Decbr. 1884 von Josef Folnesics. Wenn ich heute das Thema über das Verhältniss der Architektur zur Kunstindustrie zu erörtern habe, so ist wohl Niemand darüber im Unklaren, zu welchen Schlussresultaten eine solche Untersuchung führen wird und muss. Bildet sie ja nur einen Theil jener großen Frage nach dem Verhältnisse der hohen Kunst zum Kunstgewerbe, einer Frage, die seit Jahrzehnten in Schrift und Wort eingehend erörtert wird, einer Frage, auf deren Beantwortung die Existenz unseres Museums und un- serer Kunstgewerbeschule begründet ist. Das Schlussresultat wird also im Allgemeinen nicht anders lauten können, als dass die Architektur sich zum Kunstgewerbe so verhält, wie der Meister zum Schüler. Wir Alle haben es ia miterlebt, wohin die lgnorirung dieses Verhältnisses geführt hatte, und haben auch gesehen, welchen Aufschwung das Kunstgewerbe nahm, nachdem jene Grundbedingung des Gedeihens wieder vorhanden war. Es kann sich also in meinen Ausführungen unmöglich darum han- deln, jene Theorien von Neuem des Breiteren zu entwickeln, die vor mehr als 30 Jahren Gottfried Semper zuerst in wahrhaft classischer Weise zu einem System vereinigt hat, die von einer Reihe hervorragender Cul- turpolitiker in Oesterreich und Deutschland aufgegrißen, weiter entwickelt und weiter verbreitet wurden, die dahin geführt haben, dass wir nun eine bedeutende Zahl kunstgewerblicher Schulen und Museen besitzen, deren heilsamer Einfluss allenthalben empfunden wird. Wenn heute die Frage nach dem Verhältnisse der Architektur zum Kunstgewerbe aufgeworfen wird, so kann es uns vielmehr nur interes- siren, nachzufurschen, wie sich die Theorie in der Praxis bewährt hat, welche Erscheinungen in den einzelnen Ländern zu beobachten sind, seit der Ruf nach Hebung des Geschmackes und Reform des Kunstgewerbes durch Schulen und Museen allerorten zu hören war, und wie wir uns einer Opposition gegenüber zu verhalten haben, dieimrner auftritt, so- bald menschliches Wollen zur That geworden, nicht alle Wünsche und Hoffnungen erfüllt. Der Grundsatz, demzufolge unter den Vertretern der hohen Kunst, namentlich den Architekten ein bedeutender Einfluss auf die Kunstin- dustrie eingeräumt wurde, lässt sich kurz in folgender Weise zusammen- fassen: Der Denkprocess, der dem Entwerfen vorausgeht, ist bei archi- tektonischen Aufgaben im Wesentlichen ganz derselbe, wie bei kunst- industriellen. Während die anderen Künstler meist unabhängig und nur der Kunst wegen schaffen, muss der Architekt mit seinen Schöpfungen ganz bestimmten praktischen Bedürfnissen genügen und dabei zugleich den Forderungen der Kunst und des Materiales gerecht werden. Ganz dieselben Anforderungen stellen wir an ein Product der Kunstindustric.