150 In vollkommener künstlerischer Abhängigkeit von der Fachschule erblicken wir die zahlreichen Wiener Privatschulen für Stickerei, die fast ausschließlich von absolvirten Schülerinnen der k. k. Fachschule geleitet sind und deren stattliche Reihe einen erfreulichen Beweis dafür liefert, dass die Zahl der jungen Damen, die das Bedlirfniss nach besserem Können in den Handarbeiten empfinden, im Wachsen begriffen ist. Aus der ziemlich uniformen Exposition dieser Gruppe ist die Collection, welche der Wiener Frauen-Erwerbverein zur Ausstellung gebracht hat, besonders hervorzuheben. Entsprechend seiner Tendenz nach Beschaffung lohnender und des Absatzes sicherer Waare bietet er zunächst eine Aus- wahl von Leinenstickereien; Handtücher, Tischdecken u. dgl. für den täglichen Gebrauch, daher in einfacherer Technik verziert, doch durch- wegs tadellos und musterhaft. Daneben findet aber auch der Luxus seine Befriedigung durch wahre Kunstwerke, die nicht nur der Lehrerin dieses Institutes, Frl. Bergmann, einer älteren Schülerin der Fachschule, ein glänzendes Zeugniss ausstellen, sondern auch die Tendenz nach selbständiger Fortbildung des Erlernten und origineller Erfindung ver- rathen, wie denn der Verein auch seinen eigenen Zeichner für Stickerei- vorlagen besitzt. Auch was von auswärtigen Stickereischulen eingelangt ist, zeigt, dass man vielfach -- freilich auch mit Ausnahmen, welche die Jury abweisen musste - in die Geleise der Fachschule eingelenkt hat, namentlich wo ehemalige Wiener Schülerinnen als Lehrkräfte thätig sind, so z. B. an der Staatsgewerbeschule zu Salzburg, die es bereits zur Uebung der verschiedenartigsten Techniken gebracht hat. An minder günstig gelegenen Orten, wo höhere Fachcurse nicht errichtet werden können, sucht man durch Correctheit in Farbe und Zeichnung den Mangel einer blendenden verfeinerten Technik zu ersetzen. Dies thut z. B. in anerkennenswerther Weise der Hausindustrieverein zu Ischl, der leinene Gebrauchsgegenstände mit rothen und blauen Bordüren nach guten Mustern südslavischer Hausindustrie, vielfach der ehem. LayÄschen Sammlung im Oesterr. Museum entnommen, verziert hat. Das variable Element in der Stickerei ist eben hauptsächlich das Muster, und es wirkt besonders erfreulich, wenn man das Bestreben gewahr wird, sich von den Schulvorlagen zu emancipiten. Freilich ist dabei große Vorsicht nothwendig, insolange sich unsere Damen das Feingefühl für richtige Zeichnung noch nicht genügend zu eigen gemacht haben, was vielfach an den eingesendeten Arbeiten der Dilettantinnen zu Tage trat. Als ein zuverlässiger Führer bei diesen Bestrebungen hat sich die nationale Haus- industrie erwiesen und dieser letzteren verdankt Agram den Ehrenplatz, den es auf der diesjährigen Ausstellung einnimmt. Sowohl die städtische Gewerbeschule als die Kunstgewerbeschule der Barmherzigen Schwestern haben treliliche Sachen gebracht, die vorwiegend die Benützung natio- naler Motive aufweisen. Die Barmherzigen Schwestern haben aber auch einen vollständigen Kirchenornat in Gold- und Seidenstickerei auf weißem,