ÜUO errangen, war auch in der Wollindustrie des nordöstlichen Böhmens der kunstgewerblichen Reform ein immerhin weites Feld geöffnet. Die äußeren Verhältnisse waren während der seither verflossenen zwanzig Jahren andauernd günstige. Eine Vergleichung der statistischen Tabellen der Sechziger Jahre mit den heutigen erweist eine namhafte Ausdehnung der Wollindustrie im Karnmerbezirke. Die Einsicht und der Unternehmungsgeist der Industriellen wusste den gesteigerten technischen Anforderungen durch Heranziehung aller gebotenen Hilfsmittel zu genügen. Wenn nun wider Erwarten von der kunstgewerblicheu Production nicht dasselbe gesagt werden kann, so müssen wir uns vor Allem fragen, welches Substrat für eine solche überhaupt vorhanden war. In der Tuch- fabrication nach althergebrachter Weise ist dasselbe nicht zu suchen, weder in den glatten Tuchen, noch in den sogenannten faconnirten; die moderne Tracht ist eben nicht dazu angethan. Mehr Spielraum wäre dem artistischen Momente in der Cachemirweberei geboten, die beispiels- weise das Liebig'sche Etablissement im Josefinenthale in großartiger Weise betreibt. Es ist auch daselbst eine Anzahl von Jacquardstühlen aufgestellt, auf denen kleine Damastmuster erzeugt werden, aber eben die geringe Zahl dieser Stühle gegenüber den Schaftwebstühlen, die blos undessinirte Waare erzeugen, beweist die geringe Neigung, die für eine kunstgewerbliche Production vorhanden ist. Dasjenige Gebiet, auf dem die Frage der modernen Geschrnacksreform nicht zu umgehen war, ist das der Möbelstod- und Teppichfabrication. Man scheint hier aber auf die Reform jederzeit nur soweit eingegangen zu sein, als es die Mode erlaubte und bestimmte. Die heutige Production oHenbart die ganze Ver- legenheit einer Industrie, die alle erdenklichen Stilarten äußerlich durch- gemacht hat, ohne in eine einzige gehörig eingedrungen zu sein, die ohne eigenes Zielbewusstsein nur ängstlich aufhorcht, was wohl die morgige Mode bringen mag - eine Mode, die sich in eingesendeten Abschnitzeln französischer Erzeugnisse verkörpert. Es ist merkwürdig, dass sich unter den zahlreichen Industriellen, denen so großartige Geldmittel und ein schier unbegrenzter Credit zur Seite stehen, nicht einer gefunden hat, der den Beruf in sich gefühlt hätte, im Geiste der Reform selbständig vorzugehen. Es gebricht weder an Leistungsfähigkeit, noch selbst an gutem Willen. Bei W. Ginzkey in Malfersdorf - um auch hier einen der größten Industriellen zu nennen - war beispielsweise ein Gebet- teppich in orientalischer Art zu sehen, ein Erzeugniss der Fabrik, der hinsichtlich seiner Provenienz Kenner stutzig machen konnte: ein Beweis, wie tüchtig man sich daselbst in die genannte Stilrichtung hiueingefunden hatte. Anstatt aber dieses gewonnene Verständniss in allgemein stil- bildendem Sinne zu verwerthen, schwenkt man heute rasch um zur neuesten Tagesmode, einer verschämten Blumistik, die zwar noch stilisirten Charakter zeigen möchte, aber in gewissen hellen Rosa- und Himmel- il