311 sich zum mindesten, wahrscheinlich durch ragusanische ältere Meister, in den bulgarischen Holzschnitzarbeiten und selbst theilweise in der Archi- tektur Bahn gebrochen. Man kann in keine der neueren kirchlichen Bauten der Balkan-Länder eintreten, ohne den auffälligsten Einflüssen italienischer Kunst zu begegnen. Oft scheinen die reiche Ikonostasis-Wand, Ambone, Kirchenstühle direct aus Venedig bezogen, und doch war ich in den Werkstatt-Annexen der Popenhäuser gar manchmal Zeuge ihrer Ent- stehung. Grösstentheils aus Eichen- oder Nussholz werden sie von welt- lichen Meistern, am vortrelflichsten von einzelnen Geistlichen und deren Söhnen geschnitzt. Figurenreiche Dyptichons, Kreuze, Rosenkränze u. s. w. gehen ausschliesslich aus den Klöstern hervor, wie die bulgarischen Mönche überhaupt im Gegensatze zu ihren serbischen Brüdern weit mehr ihre freie Zeit mit verschiedenen Hantirungen, mit Malen von Heiligenbildern, Photographiren, Buch- und Steindruck u. s. w. ausfüllen. Von den städtischen Frauen wird mit Vorliebe beinahe in jedem Hause ein leichter, bräunlicher Sommerstoff erzeugt, und namentlich zu Herren-Sommeranziigen verwendet. Der modernisirte türkische Beamte, der christliche Kaufmann u. s. w. erscheinen in Schaig gekleidet. Manche Balkan-Städtchen betreiben diesen gewinnreichen Webezweig fabrikmässig, exportiren ihn und machen den österreichisch-englischen leichten Stoffen ernsthafte Concurrenz. - Auch die Schnür- und Posamentierarbeiten (Gaitan) gehen weit bis nach Siebenbürgen, in die Walachei, ja selbst bis nach Smyrna. Die goldstrotzenden, vielgepriesenen Baschlik (Kopf- zierde der Pferde), welche man bei feierlichen Aufzügen des Grosssultans ob ihrer Pracht anstaunt, rühren gleichfalls aus dem Balkan her. Zu Travna sah ich einen Pferdeaufputz für den Pascha von Trnovo zum Preise von 200 Ducaten, und er gehörte durchaus nicht zu den kostbaren. Die reichste Gestaltungskraft, vereint mit angebornem Rhythmus für Linien- und Farbenharmonie, tritt aber am eminentesten in der bulgari- schen Teppichfabrication zu Tage. Bekanntlich findet man Sitz- und Bodenteppiche bei Türk' und Christ selbst in der ärmsten Hütte. Der Msslim bedarf überdies eines besonderen Gebetteppichs. Dieser ausser- ordentliche Consum von Teppichen bestimmt die industrielle Physiognomie ganzer Bezirke des Balkans und vorzüglich der Umgebung von Pirot und Ciporovica. Dort bildet beinahe jedes Haus eine Fabrik. Männer und Frauen theilen sich in das Sortiren, Spinnen und Färben der Wollen. Das Weben ist aber ausschliesslich der Frauen Sache. An Teppichen grossen Formats (16 Quadratellen) sind gleichzeitig vier bis sechs Frauen und Mädchen beschäftigt. Letztere stehen oft im zartesten Alter, bewegen aber gleich den Erwachsenen ihre Schützen und Festschlagkämme mit unglaublicher Kraft und Flinkheit; ohne irgend welche Vorlage entstehen die traditionellen Muster, jene reizenden, bunten geometrischen Figuren im auf- und absteigenden Zickzack, welche auf der letzten Pariser Aus- . 14