317 culirt auf persönliche Selbstständigkeit, auf stylistische Eigenart. Die Sucht nach Unter- scheidung führt ihn in fruchtbaren Zeiten zu reicher Mannigfaltigkeit der Production, in sterilen Zeiten aber zur krausen Stylmischung. zum raschen Stylwechsel. Gesellt sich dazu, so wie in unseren Tagen, ein gewisser Vorrath von archäologischen und kunstge- schichtlichen Kenntnissen, dann glaubt leicht jeder Künstler aus einem beliebigen An- knüpfungspunkte an die Vergangenheit die Kosten jenes Unterscheidungstriebes betreiben zu können. Die Kunstgeschichte ist aber keine Maskenleihanstalt, der man beliebig bald dieses, bald jenes Gewand emlehnen darf. Wir müssen uns vielmehr aus einer richtigeren Auffassung der Wissenschaft die Lehre ziehen, dass der wahre Styl nichts Erfundenes, nichts Gemachtes, sondern ein aus den allgemeinen Culturbedingungen einer Zeit, eines Volkes Hervorgewachsenes, Nothwendiges ist; dass daher unsere heutige Stylmischung, unsere Stylverwirrung nichts anderes ist als Styllosigkeit. Wenn wir heutzutage ganz harmlos griechische, gothische und allerlei Renaissance-Bauten auf einen Platz nebenein- anderstellen, oder heute diesem, morgen jenem Style huldigen - wenn wir so Süss, Sauer und Bitter in einer Schüssel auftragen; so ist wohl unschwer zu errathen, was ein künftiges, glücklicheres Jahrhundert von unserem Geschmacke urtheilen wird. Unsere Enkel werden uns aber nachsagen: Sie hatten zwar tüchtige Werkmeister, sie hatten auch aller- lei Künste, aber sie hatten keine Kunst! Doch wir zweifeln nicht, und die kräftigen Anläufe der Gegenwart bürgen uns da- für, unsere Kunst wird ihre zerstreuten, ziellosen Bestrebungen wieder sammeln; sie wird den neuen Vorrath, der ihr an Kenntnissen und Hilfsmitteln so reichlich zugewachsen ist, wieder übersehen lernen, sie wird aus dieser Sammlung aller ihrer Kräfte wieder zu einheitlichem Bewusstsein, zur Ausgestaltung eines zeitgerechten Styles gelangen. Welcher Art dieser Zukunftstyl sein wird, können wir natürlich nicht errathen. Das aber dürfen wir aus einer näheren Betrachtung der Grundlagen der deutschen Kunstreform im 16. Jahr- hundert mit Zuversicht erschliessen: so wahr die Ideen, aus denen dieselbe hervorge- gangen ist, heute noch in uns fortwirken, so wahr unsere ganze Gesittung noch auf dieser Fortwirkung beruht, so wahr wird sich eine neue, künftige Kunstreform nur auf dem Boden der Renaissance vollziehen. Denn die ldeen sind mächtiger als die Menschen. ln welchem Sinne auch immer der einzelne Künstler an sein Werk geht, und ob er will oder nicht, er arbeitet doch immer nur mit an der Aufführung des einen allgemeinen Gehäuses, das sich der Geist seiner Zeit zu seiner Wohnung ausersehen hat. Bücher-Revue. Annalen nroheologlques fundees par Didi-on aine. Toine XXVII. Paris 1872. Das Schlussheft des 27. Bandes der archäologischen Annalen, die vonDidron dem Aelt. gegründet, von Ed. Didron fortgeführt wurden, bereiteten dem Leserkreise eine Ueben-aschung. Herr E. Didron zeigt an, dass er der materiellen Unmöglichkeit gegen- uberädnts} llVterk fortzufghren, diedFortsÄtzung äder Annalen, seispengirtlhabehin eigierdlipochle, wo ie eis er von iiigen an erer rt pr occupirt sic arc a0 ogisc en tu ien a - wenden. Herr liäarbier de Montault hat es übernoininen, einen General-Index zu ver- fassen ; hoffentlich lässt dieser nicht allzulange auf sich warten. Und so schliesst ein Unter- nehmen, das _in 27 stattlichen Quartbanden, mit 596 Kupfertafeln und zahlreichen Xylo- graphien verziert, trotz seiner Einseitigkeit das glanzendste Unternehmen ähnlicher Art auf dem Boden der gesammten europäischen Kunstliteratur des Mittelalters gewesen. Archäologische Zeitung, unter Mitwirkung von E. Curtius , herausgegeben von E. Hühner. Berlin i873. Einen erfreulichen Gegensatz zu der eben angeführten Nachricht von dem Auf- hören der archäologischen Annalen von Didron bildet die Berliner archäologische Zeitung. Ausschliesslich der Forderung des Studiums der classischen Archäologie sich zuwendend, gedeiht sie unter Mitwirkung der zahlreichen Archäologen, die, meist an dem Institute in Rom gebildet, an den deutschen Hochschulen thätig sind Die letzten Hefte bringen interes-A sante Mittheilungen aus llion, Ephesus und anderen Orten. U. Schroder, die gewerbliche Fortbildungsschule. Prämiirte Preisschrift, unter Mitwirkung von P. Schwarz herausgegeben. Berlin bei A. Stubenrauch 1872. Bei dem Urnstande, dass die Organisation der gewerblichen Fortbildungsschulc viele unserer Leser interessiren durfte, machen wir auf die Schrift des Herrn Schröder, Dirigent der städtischen Gewerbeachule in Siegen, aufmerksam. Der am Schlusse der Preisschrift angegebene Lectionsplan zeigt, in welclf umfassender Weise das Freihand- zeichnen und des Linearzeichnen an einer solchen Schule gegeben werden muss, wenn der Zeichenunterricht von einigem praktischen Erfolge begleitet sein soll.