die Vorlagen zum Zeichenunterrichte nicht mit Rücksicht auf die bereits erlangte Fertigkeit im Zeichnen wählt, sondern mit Rücksicht auf das Geschlecht, den Stand des Schülers und seinen künftigen Lebensberuf. Handelt es sich um den Zeichenunterricht für Mädchen, so nimmt man auf die Bildung des Schönheitssinnes, auf das Gemüth und das Herz der jungen Dame gewöhnlich in erster Linie Rücksicht. Der Unterricht soll nicht ernst sein, sondern erheiternd und anregend. Alles Trockene, d. h. Alles, was nach unserer Meinung unerlässlich nötbig ist, um den Zeichenunterricht nutzbringend zu machen, wird gründlich vermieden, und man sucht so schnell als möglich Vorlagen aus, welche wie es heisst geeignet sind, den Schönheitssinn und die Herzensbildung der Dame zu fördern. Kleine Landschaften womöglich nach Namen, die in der Welt eine Be- rühmtheit haben, von Höger bis hinauf zu Ca-lame, Blumen und manchmal auch litbographirte ldealköpfe werden in bunter Reihenfolge ge- wählt, ohne einige Kenntniss von Perspective und Schattenlehre. Mit einem Minimum von Fertigkeit in der Handhabung des Bleistift oder der Kohle, wird- so Jahre lang fortgezeichnet, bis endlich die zarte Jungfrau zur wirklichen Hausfrau wird und Gelegenheit findet, die erlangte Zeichen- fertigkeit zu erproben. Da aber die Aufgabe einer Hausfrau im Copiren von lithographirten Vorlagen nicht besteht, so kommen praktische Auf- gaben anderer Art 'vor, die eine gewisse Fertigkeit im Zeichnen voraus- setzen. Sie braucht ein Stickmuster; sie weiss aber nicht, wie sie es an- fangen soll, mit Sicherheit ein gegebenes Motiv zu verwenden, sie soll bei irgend einer ähnlichen Gelegenheit eine Kreislinie eintheilen; aber das hat sie beim Zeichenunterrichte nicht gelernt. Sie geht auf's Land und will eine kleine Landschaft aufnehmen, unsicher in den ersten Ele- menten der Perspective, stolpert sie schon trotz mehrjährigen Unterrichtes bei der einfachsten Anwendung dieser trockenen, aber nützlichen Wissen- schaft. Sie hat eben nichts gelernt, als ein gedankenloses, mechanisches lmitiren von Vorlagen; tritt sie einmal in eine Gemäldegallerie, so ist ihr, die Jahre lang Blumen und Landschaften gezeichnet hat, auch der Sinn nicht geöifnet worden, einen De Hem oder Ruisdael zu verstehen. Noch mehr steigern sieh diese Mängel bei dem Zeichenunterricht in der vornehmen Gesellschaft, die es bekanntlich mit dem Ernste im Unterricht überhaupt nicht sehr strenge nimmt. - Da ist der Zeichenlehrer in der Regel nichts weiter, als ein besserer mäitre de plaisir, der berufen ist, dem jungen Herrn oder der jungen Dame eine angenehme Unterbre- chung zu bereiten, wenn jener angeblich zu viel mit Latein oder Grie- chisch geplugt ist, oder diese sich" viel zu sehr mit ascetischen Uebun- gen oder französischer und englischer Stylistik ermüdet hat. Das ge- ringe Interesse an wirklicher Kunst in den vornehmen Ständen beruht wesentlich auf dem unmetbodisch geleiteten Zeichenunterricht und die Verwilderung des Geschmackes in den weiblichen Handarbeiten eben dar- auf, dass der Zeichenunterricht in bunter Reihe Vorlagen von Blumen