49 verlieren. Die gleiche Beziehung erhalten jene Thierbilder, auch wohl einzelne Pflanzen und Gesteine. In solcher Zusammenstellung - allemal ein Bild aus dem neuen Testament mit einem oder zwei aus dem alten Testament und einer Darstellung aus dem Thierphysiologus - entstehen nun Reihen von Bildern, die, zu einem ganzen Werke vereinigt, die Biblia pauperum, die Bibel der Armen, bilden. Sie sollte die Armen, die nicht schreiben und lesen konnten, gewissermaßen durch einen Anschauungs- unterricht belehren, daher der Name. Es ist nun wohl möglich, dass die Bedeutung dieser Bilderkreise dem armen Volke von damals mit Hilfe erläuternder Predigten geläuüg war, obwohl einiger Zweifel erlaubt ist, da die Bedeutung damals schon eine schwankende war, ein und dasselbe Bild Verschiedenes, ja Entgegengesetztes vorstellen konnte, wie z. B. David den Erlöser bedeutete, aber auch den Teufel. Für die heutige Gegenwart hat die Typologie alle Bedeutung verloren, da sie, außer einer sehr kleinen Zahl von Gelehrten, von niemand verstanden wird. Im Mittelalter, im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, ist die Typologie in einer ziemlichen Zahl reich geschmückter Manuscripte und später in den sogenannten Blockbüchern niedergelegt. Für die Ausmalung der Kirchenwände scheint sie weniger Bedeutung gehabt zu haben, soweit wir aus den erhaltenen Ueberresten zu schließen vermögen. Diese nahmen direct die Gegenstände der Bibel zum Vorwurf, oder die Legenden der Heiligen, insbesondere aber jener Heiligen, welchen die Kirche gewidmet war. Erhalten ist nun freilich aus romanischer Zeit von kirchlicher Wand- malerei nordwärts der Alpen äußerst wenig, mehr allerdings aus der Uebergangsepoche und der früheren gothischen Zeit. Vom Standpunkt der Kunst betrachtet, lässt das viel zu wünschen übrig. Die Maler, wenn auch sich befreiend von kirchlichen Vorschriften und nicht gebunden wie die Byzantiner, hatten kaum angefangen, sich die Natur anzusehen. Es kam ihnen auch nicht darauf an, die Dinge und Menschen so darzu- stellen, wie sie wirklich sind; die Bedeutung, das, was die Malereien vurstellten, war die Hauptsache. Das Nackte wurde nicht studirt und konnte daher nicht dargestellt werden; und schwach und oberflächlich wie die Körperzeichnung war auch die des Ausdruckes, höchst kümmer- lich die Wiedergabe der inneren Empfindung. Dennoch haben die Malereien dieser Epoche des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts viel Anziehendes, ja manches Schöne. Die Ge- stalten sind schmiegsam, die Bewegungen der Arme, der Hände, des Kopfes, wenn auch zuweilen unbeholfen, doch anmuthig, sanft, mit einer Hinneigung zu leiser Sentimentalität, wie es der Epoche des minnig- lichen Frauencultus entsprechend erscheint. Es liegt etwas Weibliches in der Ausdrucksweise dieser Kunstepoche. Die Zeichnung der Falten, denen die lange, Hießende, natürlich gebildete Kleidung mit dem feinen Wollstoff zu Hilfe kommt, ist schön, edel in langen, sanft geschwungenen Linien ohne Härte und Eckigkeit.