215 Familie oder seines Hausgesindes dienen sollen. Um die Hausindustrie in dieser reinsten Form zu sehen, brauchen wir nicht in jene patriar- chalischen Zeiten zurückzugeben, wo Jedermann sich seine Stiefeln selbst nähte und sein Bier selbst braute: die mährischen Vorsegnetücher wie die syrmischen gewirkten Wolldecken, die in den letzten Jahren durch Händler so massenhaft aus den Truhen der Besitzer auf den Markt gebracht wurden und die in den meisten Fällen kein höheres Alter bean- spruchen können als etwa einhundert Jahre, sind auch nicht für den Markt oder auf Bestellung gearbeitet, sondern an den langen Winter- abenden von den weiblichen Familienmitgliedern zum Hausgebrauche gewirkt und gestickt worden. Davon ist nun freilich in der modernen Textilindustrie des Bregenzer Waldes keine Rede. Material, Muster und Maschine bezieht der Sticker oder die Stickerin - wobei schon die zahl- reiche Betheiligung des männlichen Geschlechtes für die Erwerbstendenz des ganzen Betriebes charakteristisch ist - aus der Schweiz. Für die Hand bleiben nur jene Functionen reservirt, 'die der Maschine vorläufig noch unerreichbar sind: es ist dies wenig genug und wird täglich noch weniger. Dass dabei für die Bethätigung der Kunststickerei durch die menschliche Hand wenig oder gar kein Spielraum übrig bleibt, versteht sich von selbst. Ist die Stickerei vollendet, so gelangt sie wieder zurück an den nFerggerc, der als Mittelsmann zwischen Fabrikanten und Sticker bereits die Zuweisung des Rohmateriales und der Vorlage besorgte und nun gleichfalls die Löhne ausbezahlt, und durch den Fergger an eine der zahlreichen Fabriksfirmen in und um St. Gallen, um noch die Schlussproceduren durchzumachen und dann als "Schweizer Artikeln blank und nett in die Welt zu gehen. So weit also die Gebrauchs- bestimmung in Betracht kommt, ist diese Stickerei-Industrie eine eminent marktmäßige; auch der Umstand, dass zur Herstellung fast ausschließlich Maschinen verwendet werden, kennzeichnet die Fabrikswaare. Und doch lässt sich - wenigstens im Bregenzer Walde - immerhin von einer Hausindustrie reden. Denn die Arbeit wird für's erste durchwegs in's Haus gegeben, nicht an einer größeren gemeinsamen Arbeitsstätte ver- richtet. Vor Allem aber ist der Umstand zu beachten, dass die Stickerei im Allgemeinen doch nur als Nebenerwerb neben der Land- und Haus- wirthschaft betrieben wird, daher vorwiegend im Winter, weit schwächer in der besseren Jahreszeit. Die wirthschaftlichen Folgen dieser eigen- thümlichen Verhältnisse sind für das Land äußerst wohlthätige. Während in vielen Gegenden Tirols der karge Boden seinem Bebauer nicht den nöthigen Unterhalt gewährt, weil die Viehtriften allein dazu nicht aus- reichen, Vin Folge dessen die Noth vielfach zur Auswanderung zwingt, wird der Besucher des Bregenzer Waldes freudig überrascht durch das stattliche Aussehen der Bewohner in Tracht und Gestalt, ihrer Häuser in Geräumigkeit und Ausstattung. Es macht dies der lohnende Erwerb, der die Leute vor Entbehrungen schützt, ohne dass sie die socialen