über ein geistiges Mittelmass, wie es damals auch an anderen Akademien Mitteleuropa's herrschte, nicht hinaus. Wenn wir Werke von diesen Künstlern sehen, dürfen wir daher nicht an Thorwaldsen, Canova, Chri- stian Rauch, Dannecker denken, die in jener Zeit unbestritten einen ersten Rang einnehmen. Sie waren aber jenen Bildhauern überlegen, die, wie Marchesi und andere wälsche Künstler aus politischen Rücksichten ge- stützt wurden. In der damaligen Staatsweisheit schien es gelegen zu sein, die österreichische Kunst von dem deutschen Kunstleben so viel als möglich zu isoliren, ihre Zielpunkte so tief als möglich zu stecken, und die Italiener, so viel es ging, zu begünstigen. Allerdings kam den Italienern ihre höhere und allgemeinere gesellschaftliche Bildung sehr zu statten, und bezeichnend sind die Worte einer vornehmen Persönlichkeit, die ein massgebendes Votum bei dem Franzensdenkmal auszusprechen vermochte, als es sich darum handelte, 0b der Entwurf von Klieber oder jener von Marchesi zur Ausführung kommen sollte: "Es ist nicht möglich, den Entwurf eines so vornehmen und so gebildeten Künstlers, wie es Marchesi ist, unbeachtet zu 1355811." Ich führe diese Worte als charak- teristisch und zugleich als Warnung für alle jene jüngeren österreichischen Künstler an, die das Element der Bildung gering schätzen und sich mit den Erfolgen der Mache begnügen. Diese hat damals nicht ausgereicht und reicht heutigen Tages noch weniger aus; insbesondere bei akade- mischen Künstlern ist die Cultur des Gedankens unerlässlich. Es erziehen eben nicht nur die Leistungen, sondern auch die Zielpunkte des Strebens, nicht blos die Mache, sondern auch das Wort; den Bildhauern der älteren Generation stand sie nur in bescheidenem Masse zur Verfügung. Glück- licherweise sind an der heutigen Akademie diese Zeiten längst vergangen; aber manches geflügelte Wort früherer Tage wird noch in Künstlerkreisen fortgepflanzt. _ Wer aber die Bildhauerei in der damaligen Zeit richtig beurtheilen will, der muss die Wiener Verhältnisse in's Auge fassen. Die Plastik ist in gewisser Beziehung eine unpopuläre Kunst; nur wenige haben ein Ver- ständniss für die Formenschönheit, für das Charakteristische und für das künstlerisch Empfundene an derselben. Der deutschen Nation ist von Hause aus nicht jener Sinn für die Schönheit der Form gegeben, wie es bei den Italienern der Fall ist. Der Deutsche kennt das plastische Kunst- werk mehr aus der Lectüre als aus der Anschauung; die gröbsten Fehler bemerkt er nicht, weil sein Auge nicht gewohnt ist, die Gestalt zu sehen. Er bewundert die Antike mehr vorn Standpunkte der Doctrin als eine Emanation des weltbildenden Classicismus; ein plastisches Formgefühl hat er selten, und es wird dieses an ihm auch nicht herangebildet. Die An- tikensäle und die Museen der Gypsabgüsse werden sehr spärlich besucht; von Jugend auf wird ihm gepredigt, dass eine unbekleidete Gestalt anzu- sehen etwas Unanständiges sei. Dazu kömmt, dass die deutsche Nation von Hause aus keine schöne Nation ist; sie ist reich an charakteristischen