21 auf diese Weise das Gebiet der Plastik eher verengt als erweitert, und doch hängt die Fortentwicklung der Plastik in Wien wesentlich davon ab, dass der Kreis der Bedürfnisse sich erweitert, die zu befriedigen die Plastik berufen ist. Die Stadterweiterung hat das Terrain für bildhauerische Thätigkeit ungeheuer erweitert; aber im Ganzen und im Grossen den Strom der Kunst mehr verbreitert als vertieft und mehr Gelegenheit geschaffen für Bildhauer, die sich mit decorativeniAufgaben beschäftigen. Wer die figu- rale Plastik auf dem Stadterweiterungs-Terrain mit geistigem Maßstabe misst und die verschiedenen Werke prüft vom Albrechts-Brunnen ange- fangen, bis zu jenen Figuren, welche das grosse Zinshaus gegenüber der Facade der Stephanskirche schmücken, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, der wird selten ein plastisches Werk finden, das gut gedacht und mit künstlerischer Gewissenhaftigkeit durchgeführt ist. Gute plastische Werke sind bei den Stadterweiterungsbauten Ausnahmen; die Regel ist, dass sie ungenügend sind. Der Mangel an künstlerischer Gestaltungskraft, die ge- ringe geistige Musse, die die Bildhauer, welche solche _Aufgaben zu lösen haben, zu dem Werke verwenden konnten, das Benützen eines Materiales, welches die plastische Form nicht begünstigt, die ausserordentlich niede- ren Preise und der ungünstige Einfluss, welchen theilweise auch die Bau- unternehrnungen auf die Plastik nahmen, alles Das hemmte in der Zeit der Blüthe der Baugesellschaften die figurale Plastik. Es scheint manchen massgebenden Persönlichkeiten, mögen dies Architekten oder Baugesell- schaften, Privat- oder öffentlichelPersonen sein, nur darum zu thun ge- wesen zu sein, dass eine bestimmte Figur an einem gegebenen Platz mit einer leidlichen Contur aufgerichtet wurde; das plastische Werk selbst scheint nur wenige interessirt zu haben. Und gerade bei einem Knnstzweige, wie es die Plastik ist, deren Bedeutung selbst dem gebildeten Publicum nicht ganz klar ist, bei einem Kunstzweige, dessen höhere Entwicklung wir Alle unverrückt im Auge behalten müssen, ist es unerlässlich nöthig, bei der Wahl der Personen, denen künstlerische Aufgaben zugewiesen werden, mit grosser Vorsicht vorzugehen. Denn die Mittelmässigkeit drückt jede Kunst; das wirkliche Talent und eine hervorragende Leistung sind es allein, welche im Stande sind den Kunstzweig zu heben und die Be- deutung der Plastik Allen einleuchtend zu machen. Kein Werk eines österreichischen Künstlers hat seine Mission in so glänzender Weise durch- zuführen verstanden, als das Standbild Schuberfs, welches den Stadtpark ziert. In der Kunst werden eben die Talente nicht gezählt, sondern ge- wogen, und die Majorität bilden immer diejenigen, deren Leistungsfähigkeit eine geringere ist; die wirklichen Talente sind überall und waren zu allen Zeiten in der Minorität. Dem Talente muss auf plastischem Gebiete die Bahn geöffnet werden, und es muss demselben die Möglichkeit geboten werden sich zu entfalten.