Theophil v. Hausen. Wien ist heute gleich einem geistigen Reservoir, in welchem alle großen Richtungen der Architektur einmünden und vollberechtigt auch ihre Repräsentanten gefunden haben. So ist Th. Hansen der hervor- ragendste Vertreter der hellenistischen Renaissance unserer Zeit. Die Griechen sind seine Vorbilder, Schinkel sein Lehrmeister. Wie die Griechen und Schinkel den Gegensatz von Kunst und Kunstgewerbe, von Kleinkunst und monumentaler Kunst nicht gekannt haben, so schließt seine künstlerische Thätigkeit das Bauwerk im engeren Sinne eben so sehr in sich, als Gefäß, d. i. das Geräthe, die innere und äußere Aus- stattung, die constructive wie die decorative Seite des Bauwerkes. Seine zahlreichen Bauten umfassen alle Formen des Baues, das Wohn- haus, das Zinshaus, kirchliche wie Militärbauten, und dann Zierbauten aller Art. Däne seiner Nationalität, Protestant seinem kirchlichen Bekenntnisse nach, war er fern von Sympathie für die moderne Romantik und das Deutschthum. Bei Kirchenbauten benutzte er die Formen des byzantinischen Styles und wendete öfters den Kuppelbau an. Doctrinär des Hellenismus, verzichtete er auf die constructiven und künstlerischen Vortheile des Bogenmusters und bevorzugte den griechischen Florizontal-Architravbau. Von Jugend an Arbeit und Selbständigkeit gewöhnt, hat er die harte Schule des Lebens schon früh durchmachen müssen. Er musste schon in jungen Jahren auf eigenen Füßen stehen. Damals gab es keine S-jähr. Schul- pßicht, die Aufnahme in eine Kunstschule warnicht von dem absolvirten Gym- nasium oder der Realschule abhängig. Nachdem er in der Kopenhagener Aka- demie Preise errungen hatte, musste er, wie sein Biograph Friedrich Pecht erzählt, in seinem fünfzehnten Lebensjahre Lineal und Reissfeder mit der Kelle vertauschen und drei Jahre lang den Sommer durch das Maurerhand- werk praktisch lernen, während er den Unterricht nur im Winter fortsetzte. Das damalige künstlerische und technische Erziehungssystem war gewiss rationeller als jetzt, wo man auf das Wissen mehr Gewicht legt, als auf das Können und die Kunstjugend sehr spät zur praktischen Thätigkeit gelangt. Schon früh lernte er die Bedingungen baulicher Thätigkeit kennen, musste sich, um sein Brud zu verdienen, mit den Handwerkern Kopen- hagens in Verbindung setzen, und für sie Zeichnungen für Geräthe aller Art machen. Sie lohnten seine Arbeiten durch feierliche Ueberreichung einer großen goldenen Kette, als er von seiner ersten Reise nach Athen zurückkehrte. Auch das französische System der Schulconcurrenz und Preise, welche an der Kopenhagener Akademie nach dem Vorbilde der Pariser Akademie eingeführt war, bewährte sich bei Hansen. S0 kam manches Th. Hansen zu statten, bevor er Berlin und Athen besuchen konnte, zwei Städte, welche auf ihn großen Einfluss nahmen, denn in Berlin lernte er Schinkel gründlich kennen, während in Athen die Bauwerke der perikleischen Zeit seinen Geist befruchteten. Die