Beispiel gegeben, auf welchem Wege eine Reform im Kunstgewerbe möglich ist, und wenn die im Schulwesen sonst so tüchtige Schweiz erst spät und vorsichtig an die Gründung kunstgewerblicher Bildungsinstitute herantrat, so hat dies in der kaufmännischen Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber neuen unerprobten Erscheinungen seinen Grund. Von dem Momente an, {als man aber von der Ersprießlichkeit derartiger Anstalten überzeugt war, wurde keinen Augenblick mehr gezögert, und die Aus- stellung zeigt bereits die mannigfachen Einwirkungen der verschiedenen gewerblichen Bildungsanstalten des Landes auf dessen Kunstindustrie. Unter allen Schweizer Großindustrien nimmt, was kunstindustrielle und mercantile Bedeutung anbelangt, die mechanische Spitzenfabri- cation, die ihren Hauptsitz in St. Gallen hat, aber gegenwärtig bereits auch die Cantone Appenzell, Thurgau und einen Theil des Cantons Zürich beschäftigt, den ersten Rang ein. An einer Waarenproduction von jährlich 80 Millionen Francs betheiligen sich rund 45.000 Personen, und hat die Schweiz 14.883 Stickmaschinen, wozu noch 2200 in Vorarlberg kommen, die für die Schweiz arbeiten. Das Gros der Production bilden allerdings einfach gemusterte Be- satzstücke, daneben aber finden wir die complicirtesten Spitzen nach Venetianer oder Genueser Mustern des 17. und 18. Jahrhunderts, aus- geführt in Leinen oder Seide, einfarbig oder polychrom. Ein Aussteller zeigt eine solche Spitze nach einem Original von Stramitzer in Wien, das er daneben hingelegt; das Original (Handarbeit) kostet per Meter 200 Frs., die Copie 50 Frs. Diese erreicht das Original allerdings nicht an Feinheit und Delicatesse, aber wie viel verwöhnte und künstlerisch gebildete Damen zählt die heutige Gesellschaft, die solchem Unterschiede besonderen Werth beilegten, und wie wenige davon verfügen über das entsprechende Vermögen! - Indess bilden nicht die Spitzen nach fremden Originalen, sondern die nach eigenen Zeichnungen das I-Iauptcontingent dieser Ausstellung. In erster Linie sorgt die vom kaufmännischen Directoriutn in St. Gallen gegründete Zeichenschule für Industrie und Gewerbe für Original-Compositionen. Die Leitung dieser Schule ist seit Kurzem in die Hände eines Mannes übergegangen, dessen Ruf als Zeichner im Textilfache längst allgemein anerkannt ist. Director Fischbach pflegt namentlich die gute Venetianer und Genueser Spitze, und wird damit das moderne Pariser Genre und die naturalistische Richtung, die bisher neben dem stylisirten Flachornament an der Schule prakticirt wurde, gewiss gänzlich aus dem Felde schlagen. In Borduren und Besatzspitzen sowie bei kleineren selbständigen Toilettestücken sind geschmackvolle Compositionen fast vollständig durchgedrungen, bei den großen Fenster- vorhängen dagegen besteht noch der Kampf mit dem Naturalismus, der aber sichtlich im Rückgänge begriffen ist. Hier sind eben die guten alten Muster nicht so häufig, und wir finden daher eine größere Abhängigkeit