und französischen Architekten berathen gegenwärtig eingehend -jene Fragen, welche die sociale Stellung der Architekten berühren. Können oder sollen die Architekten einen Stand bilden oder sollen sie nur als Individuen, als Einzelkünstler betrachtet werden, wie die Maler oder die Bildhauer? Oder sollen sie wie Gewerbsleute betrachtet werden, denen gegenüber sie auf gesetzlichen Schutz ihres Standes keinen An- spruch haben? Sollen sie etwa nur als Zeichner, als dienendes Glied jenen Gewerben untergeordnet werden, welche, als Bauhandwerke corporative Rechte bereits besitzen? Diese Fragen schweben jetzt auf den Lippen aller Architekten, welche, ihres Künstlerberufes bewusst, nicht gewillt sind, ihre Stellung preiszugeben. Denn nicht von heute an datirt der Beruf des Architekten. Niemand hat denselben mit so deutlichen klaren Worten präcisirt, als Vitruv in den zehn Büchern seiner Architektur, welche er dem Kaiser Augustus ge- widmet hatte. lm ersten Capitel seines Werkes sagt er: nArchitecti est scienta pluribus disciplinis et variis eruditionibus ornata, cuius judicio probantur omnia quae ab ceteris artibus perficiantur operan- Die alten Aegypter haben auch eine deutliche Vorstellung von der Bedeutung der socialen Stellung der Architekten gehabt. Das älteste Künstlerporträt, welches wir überhaupt in der Kunstgeschichte besitzen, ist das Standbild eines ägyptischen Baumeisters. Vitruv hat nur das aus- gesprochen. was die ganze Kunstgeschichte bis auf den heutigen Tag bestätigt, dass durch den Baustyl und die Baukunst alle Künste ihre Be- gründung erhalten. Sie ist, wie ein französischer Schriftsteller sagt, eine ebenso universelle als fundamentale Kunst. Bei dieser bevorzugten Stellung ist es fast unbegreiflich, dass von Seite des Staates nicht Alles geschieht, um die Stellung des Architekten im staatlichen und socialen Leben zu sichern. Aber das, was man heutigestags Staat nennt, ist so complicirt mit juristischen und bureaukratischen Formen verclausulirt, dass dasjenige, was unzweifelhaftes und klares Ergebniss tausendjährigen Kunstlebens ist, unsicher und zweifelhaft geworden ist. Und so ist es auch ganz zweifel- haft geworden wer berufen und berechtigt ist, sich Architekt zu nennen. Wenn etwas unsere heutigen krankhaften socialen Zustände be- zeichnet, so ist es eben die krankhafte Physiognomie alles dessen, was sich auf Baukunst bezieht. Auf der einen Seite wird über Ueberfüllung des Architektenstandes geklagt, welche die natürliche Folge der Ueber- zahl von staatlichen Bildungsanstalten ist, an welchen Architekten groß- gezogen werden, und auf der anderen Seite werden die Künstler, welche in diesen Staatsanstalten gebildet werden, weder vom Staat, noch von der Kirche, noch von der Commune verwendet. Und gerade die hervor- ragendsten, am meisten künstlerisch veranlagten Architekten werden am wenigsten benützt. Nur der minder begabte Kunstjünger, welcher als selbständiger Künstler sich nicht geltend machen kann, findet in den Staatsbureaux eine kümmerliche Existenz.