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hörigen Vorbildern, musste bei der Anlage einer textilen Sammlung jenen
Intentionen in erster Linie Rechnung getragen werden. Aber in Wür-
digung des engen Zusammenhanges wie er in der Kunst zwischen der
Erkenntniss der historischen Bedingungen des Werdens und Entstehens
einerseits und einem zielbewussten Schaffen anderseits besteht, wurde von
Anbeginn auch angestrebt, eine Vollständigkeit der historischen Ueber-
sicht über Techniken und Decoration der textilen Erzeugnisse aller durch
erhalten gebliebene Denkmäler bezeugten Stylperioden zu erzielen. Und
wirft man einen Blick in den letzten gedruckten Katalog der Samm-
lungen vom Jahre 1866, so möchte es fast scheinen, dass bis dahin
das wissenschaftliche Interesse größere Berücksichtigung gefunden habe.
Denn dem halben Hundert orientalischer und neuerer europäischer Stoffe
und Stickereien, wovon etwa die Hälfte als Privateigenthum nur vorüber-
gehend zur Ausstellung gelangt war, stehen dort die 4.00 Nummern der
Bock'schen Sammlung gegenüber. Wurden auch durch eine Reihe von
Stücken dieser Sammlung ältere Techniken, namentlich der Stickerei
wieder bekannt gemacht, oder der Geschmack an der stilisirten Ornamen-
tirung mittelalterlicher Gewebe durch Nachbildungen von Phil. Haas
und Giani nach jenen Mustern in fruchtbringender Weise angeregt, so
steht der Werth dieser unmittelbaren lebendigen Nutzung doch weit
zurück gegen denjenigen, den die Beck'sche Sammlung für die wissen-
schaftliche Textilforschung gehabt hat. Denn mit dieser Sammlung hatte
das Museum den größten Theil des Materials erworben, auf welchem
Bock das Gebäude seiner Entwicklungsgeschichte der mittelalterlichen
Textilkunst aufgebaut hat, jenen ersten bahnbrechenden Versuch, dem
die vielfach abweichenden Ergebnisse neuerer Specialforschungen von
seinem incunablen Werthe nichts nehmen werden. Die fundamentalen
Forschungen Prof. Karabacek's haben nämlich zweifellos dargethan, dass
eine Geschichte wie sie Bock geplant hat, zu abschließenden Resultaten
nur von einem Orientalisten gerührt werden kann, denn altorientalisch
wie der Seidenstyl, sind auch die mittelalterlichen Techniken der Weberei
und Stickerei. Und just zur rechten Zeit wurde in diesem Sinne mit der
Erwerbung der GraPschen Funde der zweite große Grundstock für die
historische Erkenntniss der mittelalterlichen Textilkunst gewonnen, wo-
durch die textile Collection des Oesterr. Museums sich zu einer wissen-
schaftlichen Sammlung allerersten Ranges emporgeschwungen hat.
Gegenüber diesen frühmittelalterlichen Denkmälern aus ägyptischen
Gräbern erscheinen die seither gemachten Erwerbungen von minderem Be-
lange. Nichtsdestoweniger befindet sich manches Stück darunter, das auch
für die wissenschaftliche Betrachtung von Interesse ist. Dies gilt zunächst
von einigen mittelalterlichen Objecten, die lange als Hüllen von Reli-
quien verwendet aus den Rheinlanden durch Kauf zu uns gelangt sind.
Zwei davon entstammen wohl dem 14.. Jahrhundert und dürften auf
italischem Boden ihre Entstehung gefunden haben, gehören also einer