175 Ein solches Beispiel einer fremden Verzierungsweise, im 16. Jahr- hunderte auf europäischen Boden verpflanzt und da vollständig einge- bürgert, möchte ich heute, so viel dies mit wenigen knappen Zügen ge- schehen kann, vorführen und dabei den Versuch wagen, durch den Hin- weis auf gewisse physiologische Tbatsachen den Weg anzudeuten, auf welchem es mir möglich erscheint, einiges Licht in ein bis jetzt wenig erbelltes Capitcl der natürlichen Gesetze der gestaltenden Kunst zu bringen: in das der Linienführung. ' Gerne möchte ich die von mir zu besprechende Ornamentations- gattung mit einem trelfenderen Namen kennzeichnen als es der ist, welcher rnir zu dieser Zeit noch zu Gebote steht; ich sage,noch, weil der eigentliche hiefür passendste Terminus, wie das nun einmal leider kam, in der Kunstgeschichte vor schon geraumer Zeit zur Bezeichnung von ganz etwas anderem als was er seiner Bedeutung nach hätte charakterisiren können, in Gebrauch genommen wurde. Der Kunst des Islams ent- stammend und in Europa in verhältnissmäßig kurzer Zeit eingebürgert, dabei dem abendländischen Bedürfnisse vollständig angepasst, wäre das in Rede stehende Ornament wohl am besten als Arabeske zu bezeichnen gewesen; gegenwärtig aber wird diese Benennung fast jedem eine Fläche schmückenden, insbesondere phantastischem oder grotteskem Rankenwerk gegeben. So mag es denn verzeihlich erscheinen, wenn der vor Jahr- hunderten in Anwendung gekommene Ausdruck Maureske auch gegen- wärtig noch gebraucht wird, so lange nicht bei Gelegenheit einer wahrlich dringend nöthigen Reinigung der deutschen Terminologie des Kunst- gewerbes auch der sogenannten Maureske zu ihrem Namen verholfen wird. Dass im 16. Jahrhunderte der Ausdruck mauresk im Sinne unserer Zeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und in den Niederlanden gang und gäbe war, ist festgestellt. Der Deutsche Virgil Solis schreibt auf dem Titelblatte einer Folge seiner in Kupfer gestochenen Vorlageblätter, welche ausschließlich Ornamente, wie die in Rede stehenden, bringen: nMoriske vnd Türkischer (Einfacher vnd Duwelter) art zuglein. Durch Virgillius Solis zu Nurenberg geordnetm Der Nieder- länder Balthasar Sylvius, der in dem längeren lateinischen Texte des Titelblattes seiner Vorlageblätter zur Charakterisirung derselben sich der Worte bediente, wquas vulgo mavrvsias vocantu, wählte damit offenbar" eine zu seiner Zeit erschöpfende Bezeichnung. In Frankreich gebrauchte in gleichem Sinne Jacques Androuet Du Cerceau das Wort nmoresquew. Soll ich nun den Charakter der Maureske mit den kürzesten Worten näher defmiren, so mag zunächst angeführt sein, dass zweierlei Ver- zierungsmotive, entweder jedes für sich bestehend oder beide zu harmoni- schem Zusammenwirken vereint, also im Wesentlichen drei differirende Species, in Berücksichtigung zu ziehen sind. Erstens ein Litzengellecht von durchwegs gleich breiten oder systematisch sich verbreiternden und wieder verjüngenden Streifen zu- " 13 '