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lch muss noch, weil mit den Reliquiaren zusammenhängend, den
Möchlinger Schrein'), der jetzt im Ambraser Cabinet sich befindet,
erwähnen, verfertigt von einem kunstgewandten Mönche von St. Paul in
Kärnten; er ist sicher, wie der Salzburger Schrein, ein in der Charwoche
verwendetes heiliges Grab, mit der besonders zu verschließenden Apside
für das hochwürdige Gut. Ein solches heiliges Grab, das gleich behufs
der Procession auf Räder gestellt ist, befindet sich in der Pfarre St. Be-
nedict an der Gran. Derartige, aus Holz geschnitzte heil. Gräber können
manchmal als wahre Musterkarten für gothische Ornamentirung gelten.
Das Natürlichste wäre nun, von den größeren unbeweglichen oder
beweglichen, aus dem Sarge sich entwickelnden Reliquiaren zu den
kleineren überzugehen, welche für gewöhnlich im Schatze der Kirche
verborgen waren und nur bei besonderen Festlichkeiten zur Betrachtung
und Verehrung gezeigt wurden. Aber ich möchte die der Privatandacht
dienenden, den Privaten gehörenden Reliquiare zugleich mit jenen be-
handeln und einen kurzen geschichtlichen Ueberblick der Goldschmiede-
kunst und ihrer Verwandten geben, die ja besonders mit dem Schmucke
der Reliquien sich beschäftigt haben, muss Sie daher bitten, mir wieder
bis in die ältesten Zeiten des Reliquiencultus zu folgen.
Nach der alten Praxis der römischen Kirche war es wohl Jahr-
hunderte lang nicht möglich, dass Privatleute irgend welche Stücke von
heil. Leibern zur Andacht in ihren Wohnungen hielten. Höchstens, dass
man ein Stückchen vom Gewande des Heiligen, Blätter von seinem
Grabe, Stotfstückchen in Kapseln, die auf seinem Grabe gelegen, bei sich
tragen konnte, etwa als Anhängsel um den Hals; Enkolpia, und diese
werden kaum schon eine specielle christliche Form, höchstens etwa die
des Kreuzes gehabt haben. So war es römischer Brauch. Die berühmte
Lipsanotheka der Bibliotheca Gueriniana in Brescia, die aus dem 4. Jahr-
hunderte stammt, dürfte wohl byzantinischen Ursprunges sein. Es ist
der Vorläufer für eine ganze Reihe von Elfenbeinbüchsen, mit thurm-
artig zugespitztern Deckel, wie sie in der Kathedrale von Sens, im Museum
zu Darmstadt, im Welfenschatze sich finden, und wohl, gefüllt mit Re-
liquien, von Pilgern oder Händlern aus dem Oriente, zunächst aus Con-
stantinopel, nach dem Westen gebracht wurden.
(Fortsetzung folgt.)
') Heider und Eitelberger, Kunstdenkm. l, 136 und Taf. XX; Central-Comm.
XVlI, 37.