Reiche Kirchen und Stifte, Fürsten und Bürger haben wohl auch nach der Reformationszeit - obwohl die Freude an den heil. Reliquien viel nachgelassen hatte, und man vielmehr auf Schmuck und prachtvolles Tafelgeschirr hielt - noch immer dem Goldschmiede, dem Erzgießer und seinen Genossen Arbeit für Reliquien gegeben. Aber es kann doch nicht geleugnet werden, dass überall die Skeptik gegenüber den Reliquien zunahm, die, da sie gefährlich wurde, die katholische Kirche bewog, eine eigene Congregation zur Prüfung der Reliquien einzusetzen, die nun das ganze Reliquienwesen in enge Grenzen eingeschränkt hat. Da waren die Aufträge von Reliquiaren selten genug und ging, da der Goldschmied und Gießer sich mehr mit Tafelgeschirr und Geschmeide beschäftigte, vieles von der Stylisirung dieser Gegenstände auf die Reliquiare über. Die Renaissance hat schnell, namentlich in Italien, ihre eigenen Formen auf die Reliquiare übertragen; hier wie auch sonst zeigt sich das auf die Künstlerindividualität gerichtete Wesen der Renaissance, so dass es schwer wird, vom Speciellen loszukommen. In sehr vielen Fällen ging in Italien das Reliquiar im Großen geradezu in das Grabdenkmal über; ich erwähne statt Vieler das Grabdenkmal des heil. Petrus Martyr zu S. Eustorgio in Pisa (1339) von Giovanni Baducci '). Freilich lässt sich sogar in Italien annehmen, dass noch in der eigentlichen Frührenaissance vielfach, namentlich unter deutschem Einflusse, die italienisch-gothischen Formen an Reliquiaren wiederkehrten, denn sicher sind manche Ta ber- nacu la - d. h. in ein uns verständliches Wort umgesetzt: "Monstranze- welche nach 148g im Schatze von S. Pietro erscheinen, noch Producte des 15. Jahrhundertes, und werden doch (wie das Reliquiar von Genua aus dem 14. Jahrhunderte noch ist) als in Form einer Burg, ringsum mit Figuren, hoch oben mit einem Falken, beschrieben. Auch in Frankreich blieb der Goldschmied und Gießer beim Ver- fertigen der Reliquiare häufig noch bei der gothischen Tradition; so ward 1529 für die Gebeine des heil. Ludwig ein Reliquiar in Form einer Capelle mit zwei Stockwerken verfertigt. Nicht ahders war es in Deutschland, wo gerade die Goldschmiede, lange bis über das 16. Jahr- hundert hinaus, an den liebgewordenen Schablonen des gothischen Styles festhielten; ich erwähne als Beispiel die gothische Monstranze von Wolfs- berg vom Jahre 1611. Dass aber auch die Renaissance wunderbare Schöpfungen hervorbringen konnte, die sich dem Besten, was das Mittel- alter leistete, an die Seite stellen lassen, sehen Sie aus den Schätzen der reichen Capelle in München. Gerade die Monstranze, das Haupt- reliquiar der späteren Zeit, zeigt die Wandlungen, welche der Geschmack der Goldschmiede unter dem Drucke der jeweiligen Mode mitmachen musste bis in unsere Tage, welche wieder zum gothischen Geschmacke im Reliquiar zurückgekehrt sind. So kam es denn, dass seit dem vorigen ') Abbild. Agincourt, Sculpt; Taf. 34.