519 Ueber den Messkelch t). Von Prof. Dr. W. A. Neumann. Wenn wir vom Kelche in der christlichen Kirche, speciell vom Mess- kelche sprechen, denken wir von selbst an jenen Berg der hl. Stadt Jerusalem, den Sion, wo in einem Obersaale Jesus Christus mit seinen Aposteln das letzte Mal, das Paschafest, begeht und nach dem Genusse des Osterlammes feierlich denselben Brot und Wein reicht, seinen heiligsten Leib und sein Blut, und ihnen befiehlt, dass Jeder davon esse, davon trinke, und dass sie dieses unblutige Opfer feiern sollen fort und fort zu seinem Angedenken. Diesmal wollen wir uns nicht in die geheimnissvollen Tiefen dieser Worte versenken, sondern nur das hl. Geräthe betrachten, mit welchem die Kirche von jenem Augenblicke an der Weisung ihres göttlichen Meisters nachkommt. Wie hat der Kelch ausgesehen, mit welchem der Heiland selber sein Opfer gefeiert hat? Zwei Sagen bieten sich uns dar: Die Sage, dass sein Kelch in Jerusalem geblieben sei. Sie begegnet uns bei dem Jerusalem-Pilger Antoninus von Piacenza "') ungefähr 570, dem in der Constantinischen Basilica zu Jerusalem ein Onyxkelch, und bei Arculfus m), 670, dem ebenda ein silberner l-lenkelkelch, einen Sextarius gallicus haltend, als dieser Kelch gezeigt wurde. Diese Sage richtet sich selbst durch den Widerspruch, den sie enthält-f). Die zweite Sage, ist die bekannte vom hl. Gral, wie sie im jüngeren Titurel erzählt ist: Josef von Arimathäa habe in derselben Abendmahlsschale das Blut Jesu Christi aufgefangen, dass es vom Kreuze nicht auf die Erde träuiie. Während die Sage sich weiter entwickelt bis zum prächtigen Graltempelbau und seinen Templisten, wollten die Genuesen aus Caesarea Palästinae diese Schale nach Genua gebracht haben. Es ist der Sacro catino, den man ehemals für einen riesigen Edelstein gehalten hat, bis er bei seiner Verschleppung nach Paris 1804 gebrochen, untersucht und als Glasfiuss erkannt wurde-j-T). - Natürlich hat er auch seinen Rivalen in Spanien. Auch diese Sage, wie schön sie ist, fördert unsere Kenntniss nicht. Also können wir gar keinen Schluss uns erlauben, wie der Kelch Jesu Christi - denn an eine Schale können wir schon des Paschafestes wegen unbedingt nicht denken - ausgesehen habe? Wäre denn der ') Mit Zugrundelegnng eines im k. k. Oesterr. Museum am I8. November 1886 gehaltenen Vortrages. ") Ed. Tobler et Molinier, Genevae 1879, p. m2. "') l. c. p. 153. 1-) Der Pilger von Bordeaux c. 333, und Eucherius c. 440 hatten noch nichts von diesem Kelche gehört, erst an) Anfange des 6. Jahrhunderres beim Breviarius (ed. Gilde. meister, Bonn 1882.) plg. 34 wird in der jetzt als ganz prachtvoll geschilderten Grabes- kirche der Calix des Herrn angeführt. H) Bossi, Observations sur le saero catino. Turino 1807.