232 weisen'), und das, was an einigen ägyptischen Stickereien als Kreuznaht erscheinen möchte, ist in Wirklichkeit nur ein Nothbehelf, um mit der Wirknadel eine mit der Kette parallel laufende Linie zu erzielen. Die vornehmste Rolle spielte seit jeher unter den Sticktechniken nach ge- zählten Faden der Kreuzstich, und in diesem sind auch überwiegend die ältesten erhaltenen Leinenstickereien aus dem Spätmittelalter ausgeführt. Hier finden wir schon die geometrischen Muster, meist im Rautenschema vertheilt, sowie die stilisirten Bäumchen, die dann in der Renaissance in Verbindung mit dem Vascnornament die ausgedehnteste Anwendung Hnden. Ornament und Technik entsprechen hiebei einander auf's Vollkommenste, und beide bleiben zusammen in Uebung bis tief in's vorige Jahrhundert hinein, als einerseits classicirende Formelemente, anderseits die Tech- niken des Feder- und Kettenstichs in die Leinenverzierung Eingang fanden. Was also die Leinenstickereien nach gezählten Faden anbelangt, so sehen wir die dieser Gruppe angehörigen Ornamente der sogenannten natio- nalen Hausindustrie als ein sozusagen internationales Gemeingut der europäischen Völker, namentlich Mitteleuropa's, mindestens vom späteren Mittelalter an bis an die Schwelle unseres Jahrhunderts. Die zweite Gruppe der nationalen Hausstickereien ist durch Platt- stich hergestellt. Dieser wurzelt nicht in der Beschaffenheit des Leinen- grundes; er ist vielmehr aus der Seidenstickerei hervorgegangen und von dieser auf die Leinenstickerei übertragen worden. Bei näherer Betrachtung erkennen wir auch in den großen nelken-, tulpen- und rosenförmigen Blüthen, sowie in den Knospen des sogenannten Apfeldurchschnittes lauter gute Bekannte, die namentlich in der Barockzeit als Mitteldinge zwischen stilisirter und naturalistischer Blumistik die vornehmsten Orna- mente der Seidenstickerei ausmachten. Während im 16. Jahrhundert der stilisirende Kreuzstich in der ornamentalen Leinenstickerei noch weitaus vorherrschend war, nahm das 17. Jahrhundert ohne Bedenken die massiven klatschigen, dem Naturalismus zuneigenden Blumen aus der Seidenstickerei in die Leinenverzierung herüber. An dem seidengestickten Stabe einer Casel des 17. Jahrhunderts in den Sammlungen des Oesterr. Museums kann man in lapidarer Größe die nächsten Angehörigen derselben bota- nischen Familie sehen, der gewisse slavische Plattstickereien ihre Blumen- ausstattung entlehnt haben. Von ganz besonderer Beweiskraft sind hiefür ferner die bunten Seidenstickereien auf Leinen aus den Elbmarschen bei Hamburg, die gleichfalls dieselben Blumenornamente zur Schau tragen und nachweislich noch in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts angefertigt wurden, - auch ein Beweis für die Langlebigkeit älterer von der monumentalen Stilentwickelung längst überholter Formen, sofern nur isolirende geographische oder politische Verhältnisse es zulassen. ') Doch verrhh Nr. 582 (Kanal. der lgypt, Funde im Oeslerr. Museum) immerhin einige Berücksichtigung des Fadengrundes.