UIU Allem nicht unfähig der lebensvollen Umgestaltung unter dem Einßusse neuer geistiger Errungenschaften. Daher konnte auch Dürer ohne Be- denken, ohne zu besorgen, heterogene Elemente miteinander zu ver- quicken, die Kunstformen der Renaissance als frische Reiser auf den kräftigen Stamm der deutschen Kunst pfropfen. Er erblickte eben in den von jenseits der Alpen herübergebrachten neuen Lehren und Formen nur Mittel zur Vermehrung und Verbesserung, nicht zur Verän- derung oder gar Verdrängung des Bestehenden in seiner Heimat. Und da war es dem deutschen Apelles vor Allem darum zu thun, das theoretische Wissen der Kunst, in erster Linie der zeich- nenden Kunst, zu fördern. Im Gegensatze zu den im Mittelalter lebenden Kunstschriftstellern, welche ihr Hauptaugenmerk mit Vorliebe auf das Materielle, auf die Vorführung der technischen Mittel und ihrer praktischen Verwerthung, also auf das rein Handwerkliche in der Kunst richteten, suchte Dürer auch die nüchterne Praxis durch logische Be- gründung alles Vorzunehmenden zu durchgeistigen, in dem Sinne, wie es die großen Kunsttheoretiker Italiens gethan haben, die mit der gewaltigen Erscheinung Lionardo da Vinci's den Ausgang ihrer Pe- riode finden. Wie sehr müssen wir es beklagen, 'dass das große und umfassende encyklopädische Werk, das zu schaffen Dürer sich vorgenommen und dem er selbst den Titel: "Eine Speise der Malerknabenu geben wollte, nur in einzelnen Bruchstücken zu Stande kommen konnte. ln der an seinen Freund Willibald Pirkheirner gerichteten Widmung seiner nVnderweysung der Messung mit dem Zirckel vnd richtscheytu, in welchem Werke wir offenbar eines der genannten Bruchstücke er- kennen, spricht sich Dürer über seinen Standpunkt klar und deutlich aus. Er weist zunächst darauf hin, dass man wbisher in unseren deut- schen Landen vil geschickte jungen zu der Kunst der Malerei gethanu habe, "die man ohne allen grund (ohne jede Gründlich- keit) und allein aus einem täglichen Brauch gelehrt hat." Diese seien "im Unverstand, wie ein wilder, unbeschnittener Baum, aufgewachsenu. "Wiewohl etliche aus ihnen durch strenge Uebung eine freie Hand erlangt, also dass sie ihre Werke gewaltiglich aber unbedechtlich, und allein nach ihrem Wohlgefallen, gemacht habenu. Er sieht diese Praktiker dem Gespötte der Verständigen ausgesetzt und kommt zu dem Schlusse: wDass aber solche maler Wohlgefallen in ihren lrrthümern gehabt, war allein die Ursache, dass sie die Kunst der Messung (also in diesem Falle des constructiven Zeichnens) nit gelernt haben, ohne die kein rechter Werkmann werden oder sein kann". Mit gleichem Ernste betrachtet Dürer auch die übrigen der von ihm behandelten Disciplinen, stellt aber vollbewusst die mathematischen in die erste Reihe.