[70 1 Dieser. Wahl des Stoffes zufolge trägt die Ausstellung demnach ganz den Charakter einer Musterausstellung, die den Zweck hat, unserm modernen und ganz besonders wieder dem Wiener Goldschmiedehandwerk zum Vor- bilde zu dienen. Die oben bezeichneten Arbeiten machen den grösseren Theil auch derjenigen Schöpfungen aus, deren Anfertigung heutzutage von dem Juwelier gefordert werden; kaum für einen dieser Aufträge dürfte der Wiener Goldarbeiter die schönsten Beispiele in unserer Collection ver- missen, für viele aber wird er, sowohl was den Geschmack und Styl, als was die Technik betrifft. Lösungen vorfinden, welche die alte Zeit mit Geschick gehandhabt hat, welche der modernen Arbeit aber zum Theil ganz verloren gegangen sind; wir meinen z. B. die Anwendung von Email und Niello in den alten Formen. Wer so recht aus dem Grunde kennen lernen will, wie ein uraltes Kunstgewerbe, das sich der stolzesten Vergangenheit rühmen darf, in neuerer Zeit in Verfall gerathen kann, der vermöchte diese Ueberzeugung kaum auf eine geschicktere Art gewinnen, als wenn er einen Gang durch die Strassen unserer Stadt, an den Schaufenstern der Goldarbeiter vorüber und dann in den Saal des Museums unternimmt, welcher C118 hier besprochene Ausstellung enthält. Es würde ihm augenblicklich evident werden, dass hier eine Welt von Schönheit aus der Vorzeit entgegentritt, reich an geist- volien Ideen und geschmackvollsten Lösungen aller Aufgaben des Kunst- zweiges, - dass da draussen für das moderne Gewerbe diese reiche Welt vergessen und unbeachtet ist, und seine Vertreter es mit dem ärmlichsten Betreiben ihres Werkes, hingegeben an die Forderungen der Mode statt der Kunst, ohne Klarheit, Styl und Richtung, in einer verkommenen Manier hinfristen. Jene schlimme Zeit, welche für die Kunst und für das Kunstgewerbe der Vorfahren das Wort: altfränkisch aufgebracht hat und mit mitleidigem Lächeln auf die Beweise einer herrlichen Kunstblüthe früherer Jahrhunderte herabzublicken begann, hat allmälig mit dem edlen Styl und Geschmack der Vorzeit, den sie absichtlich verwarf und verach- tete, unmerklich auch manch' anderes eingebüsst, was mit demselben innig verbunden war, - manche schöne alte Techniken, das Festhalten der Arbeit an den ewig giltigen Grundregeln des Styls und der Logik in der Erfindung, endlich vor Allem auch die liebevolle Sorgfalt in der Ausführung ihrer Werke. Der Zusammenhang mit der bisherigen Entwicklung der Kunst war vielfach abgebrochen, an die Stelle trat die Herrschaft der Mode des jeweiligen Geschmacks des Tages, dessen unsinnige Anforderungen nun das geistige Element, den Motor der Erfindung abgeben musste. So sieht denn die Gegenwart in dem Goldschmiedehandwerk eine von ihrer uralten Tradition vollständig abgetrennte Gewerbthätigkeit, die, auf der niedrigsten Stufe stehend, unwürdiger Mode dient und die rechte Schwester jener echt modernen Industrien der Galanterie- und Nouveautes-Artikel genannt zu werden verdient, die das Sinnloseste am liebsten auf den Markt bringt, wenn es nur überrascht und neu ist, deren höchstes und einziges Ziel das