Wie lagen die Dinge nun damals - 1862 - bei uns in Wien und in Oesterreich? In gewisser Weise waren die Umstände außerordentlich günstig. Eine Bauperiode von eminenter Wichtigkeit und Großartigkeit hatte soeben mit der Stadterweiterung begonnen; außerordentliche und zahlreiche Aufgaben waren damit auch der Kunstindustrie auf eine Reihe von Jahren gesichert. Für die Architektur waren Künstler von Phantasie und Begabung vorhanden, die der Größe der Aufgaben völlig gewachsen schienen, aber war das auch auf dem Gebiete der Kunstindustrie der Fall? Diese Frage muss entschieden verneint werden. Allerdings war auch hiefür eine gewisse Vorbereitung vorhanden, oder wenn mit dem Worte "Vorbereitungu zu viel gesagt ist, doch der Wunsch und auch das Verständniss davon, dass die Kunst nunmehr tiefer in die Industrie eindringen müsse. Ein Zeichen dessen waren die Bestre- bungen der Mitglieder und Freunde der Central-Commission zur Erfor- schung und Erhaltung der Baudenkmäler, welche bemüht waren, die gewonnenen gelehrten Resultate auf dem Gebiete der Archäologie in das Praktische zu übertragen zur Wiedererneuerung alter Kunsttechnik. Freilich geschah es nur für die Kirche und nur in_ den Stylarten des Mittelalters, die sich für unsere Zeit und das moderne Kunstgefühl bald als unzulänglich erwiesen. Immerhin gaben sie Anregung und es wurde z. B. durch ihr Bemühen das vergessene Email in der Goldschmiedekunst wieder neu belebt, und von ihnen gingen die ersten Versuche aus, den KirchenstoEen wieder eine edle und stylrichtige Musterung zu geben. Gleicherweise begann der niederösterreichische Gewerheverein sich um die Kunstindustrie zu bemühen. lm Jahre 185g gab er auf Anregung und unter Leitung des Architekten Ernst, des damaligen Dombaumeisters, ein Kunstblatt heraus, das diesem Ziele gewidmet war und eine Fülle von Entwürfen für gewerbliche Gegenstände brachte. Leider waren sie sammt und sonders gothisch gehalten und zwar in einer Gothik, die keinen anderen Erfolg als den Spott der Kenner hatte. Alsdann kam unter vorzüglicher Mitwirkung Hansen's ein zweiter Jahrgang, der wiederum nur antike oder antikisirende Vorbilder enthielt. Er hatte ebenso wenig Erfolg wie sein Vorgänger, und die Zeitschrift ging wieder ein. Die Geschichte dieser Zeitschrift des Gewerbevereines beweiset zweierlei: einmal, dass in der That das Bedürfniss nach künstlerischer Gestal- tung gewerblicher Gegenstände lebendig gefühlt wurde, und zweitens, dass die künstlerischen Kräfte dafür nicht vorhanden waren. Es ist wahr, die Architekten nahmen sich der Sache an, und das ist ein Verdienst von ihnen. Das Gewerbe nahm auch seine Zuflucht zu ihnen, wenn es sich um größere Aufgaben von vorragend künstlerischer Bedeutung handelte, und die Architekten waren willig zur Ausführung. Aber was über den Bau hinausging und nicht niet- und nagelfest zu demselben gehörte, wo, auf welcher Akademie hätten sie das lernen sollen? Wo war die Schule