Abb. 4. Dm. mll Schoßluündchcn. Wlnn um 1760. Bllumlrll. Kamm m19 Jlgdhund. Wnn um 1780, Blaumarki. llngcrlkl .,S::hneldlr Cm. porulh Ushrrulchlschn: Mullum lür lnglwandh Kunsl verlangte, auch im Bereiche der Kleinkunst erfüllen. Das porzcllanene Kunstwerk entsprach in seinen kleinen Model- len allen Erwartungen, die die Barockzeit an das bildncrische Vermögen und die Erfindungskraft des plastischen Künstlers stellte. In kühnem Anlauf hatte die Porzellanmanufaktur in Meißen den Vorsprung, den sie vor den anderen Manufakturen hatte, auch im künstlerischen Stil der plastischen Formgestaltung bis zur Jahrhundertmitte halten können. Der bedeutendste Porzellan- plastiker der Barockzeit, Johann Joachim Kändler (1706-1775), der die gesamte europäische Porzellanplastik maßgeblich beein- flußte, war seit 1732 als „Vorsteher bei der Gestaltung" in Meißen tätig. In seinen nahezu 900 Modellen, die in ihrer The- matik alle Lebensbereiche der Barockzeit umfassen, lebte die ursprüngliche Sinncnfreude und vitale Kraft eines mit seinem Material bis ins letzte vertrauten Künstlers. Als er aber 1775 starb, gehörte sein Porzellanstil bereits der Vergangenheit an. Denn schon vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte Franz Anton Bustelli (1723-1763) in der Nymphenburger Manufaktur be- gonnen, der Porzellanmasse neue Formen abzugewinnen, die be- sondcrs in den Figuren der italienischen Komödie das Spontane und Dynamische der frühen Kändlerplastiken mit der leichten Eleganz, dem scharfen Witz und der spielerischen Phantasiefülle des Rokokos verschmolzen. Aber während noch Bustellis Kavaliere und Damen ihr geist- reiches Spiel trieben, begann zunächst in der Literatur, aber bald auch in den bildenden Künsten, sich eine Gegenbewegung vor- zubereiten, die auf das heftigste das schnörkelhafte Unwesen der „lächerlichen Puppen" aus Porzellan bekämpfte. Diese, der Be- geisterung für alles Antikische entsprungene, neue Stilrichtung des Klassizismus, sollte aber erst mit dem Ende des neunten Jahrzehntes völlig zum Durchbruch kommen. Bis zu diesem ent- scheidenden künstlerischen Wendepunkt, der mit dem politischen der französischen Revolution zusammenfällt, ergab sich eine Übergangsepoche, die nach sanfteren Gesetzen suchte, und die im allgemeinen durch eine Erschöpfung der künstlerischen Kräfte in der Porzellanplastik gekennzeichnet ist. Nur die Wiener Ma- nufaktur machte hierin eine Ausnahme. Das Seelen- und Gemüt- hafte dieser Übergangszeit fand in der Person des Modellmcisters Anton Grassi (1755-1807) einen Künstler, der neben Johann Joachim Kändler aus Meißen und Franz Anton Bustelli aus Nym- phenburg vollauf bestehen kann. Anton Grassi wurde im Jahre 1755 als Sohn eines Galanterie- arbeiters in Wien geboren. Schon als Zwölfjähriger wird er im Jahre 1767 in den Schülerlisten der K. K. Akademie der bilden- den Künste in Wien geführt. Hier kommt er mit dem „Statuarius, und Titularprofessor" Franz Xaver Messerschmidt in Berührung, der den begabten Knaben in seine Klasse aufnahm und in die Grundlagen der Porträtplastik und der physiognomischcn Studien einführte. Dieser sonderbare und eigenwillige Mann, der wegen „gestörtcm Geisteszustand" zur Professur nicht zugelassen wurde, hatte in dem jungen Grassi die Neigung und Fähigkeit zum Er- fassen des Wesentlichen einer Persönlichkeit nicht nur geweckt, sondern auch bedeutend gefördert. Im Nachruf auf Grassi wird hierfür folgende bezeichnende Geschichte aus dem Jahre 1772 berichtet. Grassi „erbat sich von der Fürstin von Dietrichstein, bei welcher der unvergeßliche Kaiser Josef im Kreise mehrerer von ihm geschätzter Damen und Kavaliere öfters seine Abende verlebte, die Gnade, den Kaiser zu sehen, und wenn es ohne Auf- merksamkeit zu erregen geschchcn könnte, zeichnen und in Wachs bilden zu dürfen. Unbemerkt wie er glaubte, hatte sich der junge Künstler in eine Ecke des Saales geschmieget, und in seinem Hute die Züge des Monarchen so schnell wie möglich hingeworfen. Allein Josefs Auge hatte ihn bereits ausgcspiihet, und sich bei dem Fürsten nach ihm erkundigct; dieser forderte ihm alsogleich den ersten Entwurf ab, um ihn dem Monarchen vorzulegen. Die ganze Gesellschaft erkannte schon in den weni- gen Zügcn die Ähnlichkeit des Gebildes, und der gütige Kaiser schenkte dem von dieser Gnade hochentzückten Künstler einige Stunden, wo er ihm zur Vollendung seiner Arbeit saß". Sicherlich geht das im Besitz des Österreichischen Museums für angewandte Kunst befindliche Porzellanmedaillon (Abb. 1) auf jenes Ereignis zurück. Es ist eines der wenigen von Grassi signierten Werke, das, wie die Rocailleumrahmung zeigt, noch ganz dem Ge- schmack des späten Rokokos entspricht und somit in die Frühzeit seiner Tätigkeit an der Wiener Porzellanmanufaktur fallen muß. Das Jahr 1773 brachte ein die gesamte Wiener Künstlerschaft bewegendes Ereignis. Für die Ausgestaltung des Schönbrunncr Schloßparkes mit Plastiken war eine Konkurrenz ausgeschrieben, die mit dem Siege des aus Gotha stammenden kaiserlichen Hof, malers und Statuarius Johann Christian Wilhelm Beyer (1725 bis 1806) endete. Um dem Auftrag nachzukommen - es waren mehr als 40 Statuen auszuführen - begab sich Beyer mit einer Gruppe von 15 Bildhauern in die Tiroler Steinbrüche. Unter den Künstlern befand sich auch der kaum zwanzigjährige Anton Grassi. Diese Jahre der Zusammenarbeit mit Wilhelm Beyer sollten nicht ohne Bedeutung für Grassi bleiben. Nach Beendi- gung der Arbeiten waren es Wilhelm Beyer und Johann Baptist Hagenauer - dieser hatte auch der Bildhauergruppe angehört -, 18