MODERNE UND GEMÜTLICHKEIT ZWEIFRONTENKRIEG ODER BILDNERISCHE KONSEQUENZ? Das Verhältnis der „tNlodcrnc" zur „(iernütlichkeif ist zweifel- los ein Problem, dem man schon einmal einige Gedanken und vielleicht auch einige Diskussionen widmen kann, vorausgesetzt natürlich, daß man sieh über die Worte „Äloderne" und „(ic- mütlichkeit" entsprechend klar ist. lnsofern stellt ein kürzlich durch den General-Manager der Roscnthttl-Porzellan A. (E. Philip Rosenthal veranstalteter Empfang für die Wiener Archi- tekten und Entwerfer eine ebenso wiederholungs- wie verbesse- rungsbedürftigc Sache dar. Für die Wiederholung spricht erstens, daß man gerade hier in Wien die Fragen der liormgebung nicht gründlich genug erörtern und sie zweitens nicht oft genug mit den einschlägigen Produzenten zusammen behandeln kann; für die Verbesserung hingegen, daß es vielleicht doch in manchem bei dieser ersten Begegnung, allerdings mit einem ausländischen Produzenten, an der oben Zitierten und für eine fruchtbare l)is- kussion vorausgesetzten Klarheit mangelte. Philip Roscntital ist gleichzeitig Mitglied des leitenden Komitees für liormgcbung im Bundesverbttnd der deutschen Industrie, so daß seinen die von ihm gewünschte allgemeine Diskussion ein- leitenden Worten zum Thema des Abends eine gewisse pro- grammatische Bedeutung zukommt. Man wird nicht ohne weite- res behaupten können, daß sie dieser Bedeutung voll entspra- chen. Gewiß, ein (jcschäftsmxtnn ist ein Geschäftsmann und hat eine andere Diktion als Menschen, die sich mehr grundsätzlich Abb. 1. Kaff-e Service „Foi-titna" von Elsa Fischet-Ifreyden tkosen- thal). Hier wird die „zweite Front" in einem typisch antifunktionellen Dekor und obendrein noch dadurch wirksam. daß man sich auf die Deekelknöpfe entweder sein Monogramnx oder fünf Glüekszeielten ..Fortuna"!} gießen lassen kann. S0 aber dtirtte kaum das Konventio- nell-Fade, besonders der beiden Kannenfurvnen. überwunden werden können. sondern weit eher e Bestätigung erhalten. mit den Formfragen unserer Zeit bef en. Aber weil} bleibt schließlich in jeder Diktion weiß und schwarz schwarz. Da gibt es nichts zu deuteln, 50 aber vttar auch die Tendenz von Philip Rosenthals Ausführun- gen um so unmißvcrstiindlicher, als sie genau mit den bei dieser Gelegenheit vorgewiesenen Porzellanbeispiclen seiner Firma zu- sammcnpaßtc. Greifen wir die drei Hauptpunkte seiner Diskus- sionseinleitung heraus und setzen wir das „Gcsagte'" mit dem „(ictnachten", also Wort und Porzellan in Vergleich, so wird dieser Zusammenhang noch deutlicher Da hieß es also erstens: der Kampf urn die „gute Form" sei cin Zwcifrontenkrieg sowohl gegen die Imitation vergangener Stile als auch gegen die allzu technische und funktionelle Älaßbestintntung. Das klingt beste- chend, aber nur so lange, als man sich von der heroischen Vor- stellung eines Kämpfers nach zwei Seiten blenden läßt. Bei nähe- rcr Betrachtung niimlich wird ersichtlich, daß auf der Seite, wo das Tcehniseh-Funktionelle sein angebliches „Allzu" demon- striert, gar kein echter Feind steht. Wie liegen denn die Dinge wirklich? Um die Stil-Imitation aus- zuschalten. war cine Reinigung und Reduktion der Form auf Abb. 2. Kaffee-Service. Form Finnlanclia. von Tapio Wirkkala {Rosen- thal}. Hier ist die Form. besonders die der Kanne, gut zu nennen. Heinz Helgerths Dekor jedoch mit dem poetisch-nordischen Namen "Mittsommcrnaeht". der wahrscheinlich den finnischen Forrnentwcrfei- ehren soll, scheint at F" ande, dieser Form einen höheren ("restaltwert zu verleihen. Wer s hon ist. braucht sich nicht herauszuputzen. Vogerln und Roserln sind ein kaufmännisches und kein auf die Gestalt der Dinge bezogenes Argument. Als .,Waffen" an der "zweiten Front" sollen sie einer gesehi tliehen Berechnung den Anstrich eines idealistischen Iintschlusses geben. eine Grundform hin geboten, die wieder im Zeitalter der fort- schreitenden Technik nur die aus der Konstruktion des Gegen- s indes hervorgegangene und auf seine funktionelle Zweck- crfüllting gerichtete Form sein konnte. (legen Konstruktion, Funktion und Zweck aber gibt es nichts zu kämpfen. Hier kommt es vielmehr eindeutig nur auf eine allmähliche Ausweitung und Vertiefung der iviaßstabe, auf ihre Ausrcifung ins Selbstverständ- lich-Humane an. Mit anderen Worten: die Konstruktion als eine Art Strukturgcrüst mufi vom Bildnerischen her das Fleisch der „Gestalt" ansetzen, der Zweck von der bloß sachlichen Verrich- tung auf die glcicl am freundschaftliche L mgangsweisc des Nlcn- sehen mit dem Gegenstande ausgedehnt und ebenso die Funktion im Sinne einer lebendigen, auch die Sinne und das Gemüt be- friedigenden (jebrauchsform durchgcbildct und verwirklicht werden. Die zweite Front Herrn Rosenthals demnach scheint nur eine weiche Stelle, eine Ausrede und ßankcrotterk 'ung, wenn nicht gar eine Tarnung zu sein, hinter der zwar keine Stilimitationen mehr, aber dafür die verspielten „Da-kore" ihren geschwätzigcn Wiedereinzug halten. Weil es erstens zur Formgcstttltung über 22