öde Flächen erscheinen uns die westlichen der Kanarischen In- seln. Als die Langschläfcr erwachen, glaubt man afrikanisches Land zu erblicken. Der neue Erdteil wird spät und selten sieht- bar. Die meiste Zeit ist man über dem Meer. Aber da gewahrt man plötzlich Sanddünen, ein anderes Meer braun geriffelten Sandes, da und dort grüne Oasen an der westlichen Küste. Da wir tiefer gehen, gewahren wir plötzlich eine flüchtende Herde Antilopen, wie man es zu wiederholten Malen in Filmen gesehen hat. Der Blick dringt verzückt durch das Bullauge. Ist es mög- lich, daß die einst in der Kinderseele erträumten Bilder nun Wirklichkeit werden, es müßten nur noch Löwen und Tiger aus Büschen verbrechen. Alle Fluggäste drängen an die Fenster der einen Seite. Da liegt endlich an der westlichsten Spitze Afrikas das Cap Verde mit Dakar. Es ist elf Uhr Vormittag, das Meer bespült den Hafen mit seiner herrlichen Bläue, die aus den Bildbüchern alt vertrauten Silhouetten der Schirmakazicn werden sichtbar, die vom Flughafen Yoff entfernte weißragende Stadt, Tropen- hotels, Hochhäuser. Wir rollen zum nicdern Gebäude des Aero- Abb. l. mitten in der Woche ist die Küste von San Vioente bei Santos wie aus- gestorben. Von Zeit zu Zeit kommt eine Negerin tLntl schöpft Wasser. Diese Stille ist ein seltsamer Kontrast zum lärmenden Trubel inmitten der Stadt. Einsamkeit am Rande der Wolkenkratzer. An einem Vormittag ports und sind voll Erwartung. Die Kabinentür öffnet sich. Feuchtheiße Luft schlägt uns entgegen. Ebenholzschwarzes Bo- denpersonal hat die Treppe an den Ausstieg herangebracht, es sind hohe, stolze Burschen. Die Temperatur ist fast unerträglich. Man sucht Schatten in einem kleinen Palmgarten bei erfrischen- den Getränken. Plötzlieh sprechen Neger französisch, der Poli- zist der Lufthafenwache, die nackten Beine in Ledergamaschen, der Andenkenverkäufer in blendendweißem Burnus. Ihr Gesichts- ausdruck verrät nicht die geringste Bewegung. Sie erleben täg- lich die neugierigen, ja abschätzenden Blicke der Reisenden. Es ist anders als im europäischen Süden, wo der reisende Europäer bestaunt wird. Ein kleines romantisches Postamt mit einer fran- zösischen Posthalterin und scnegalesischen Gehilfen. Alles trägt den eigenartigen Charakter der Tropen. Man würde länger blei- bcn, wäre die Luft nicht drückend heiß. Auch ein kleiner Sprüh- regen kühlt nicht ab. Er vermehrt nur das Unbehagen. Mit etwas Verspätung steigen wir wieder über die Treppe in den Rumpf unseres Flugzeuges. Das übliche Motorcngeräusch. Wir rollen die Piste hinaus. Uneingeweihte merken kaum einen Un- tcrschied. Siehe da, wir kehren wieder zum Flughafen zurück. Einer der Motoren ist nicht angesprungen. Man nimmt den Dienst genau. Das Bewußtsein einer Verantwortung verlangt eine strenge Untersuchung der Kontakte. Wir setzen uns wieder in den Palmgarten. Einstweilen bemüht sich ein Häuflein Techniker. den Defekt zu beheben. Nach einer halben Stunde scheint alles in Ordnung. Diesmal springen die Motoren richtig an, ihr Ge- brumm gibt uns Vertrauen. Aber gemischte Gefühle sind noch in den Herzen der Fahrgäste. Wir haben die längste Strecke, die Überquerung des Atlantiks vor uns. Siebeneinhalb Stunden lang ist nichts anderes als das Meer in 6000 Meter Tiefe unter uns. Wir rasen mit einer Geschwindigkeit von fast 500 Kilometern in der Stunde. Noch erkennen wir in greifbarer Tiefe über diesem Meer die weißen Mahnen der wilden Rosse, die Schaumkronen der Wellenberge. Wird der giihnende Rachen des Molochs uns Lili- putwidersacher, dieses Spielzeug aus Duraluminium, verschlin- gen? Nach einer halben, einer ganzen Stunde besteht noch die Möglichkeit einer Umkehr, wenn der Defekt sich wiederholen sollte, nach zwei Stunden kaum mehr. Werden wir mit zwei, drei Motoren auskommen? Aber es ist ja gar nicht daran zu denken. Diese Wunder arbeiten mit unglaublicher Präzision, kaum daß entgegenstür- zende Böen das Flugzeug bewegen, große, weiße Wolkrnballen rasen an uns vorüber, für Augenblicke ist es finster. Use cintos! Zehn Minuten sind wir im Mittelpunkt einer wilden Gegner- schaft, der Regen prasselt an die Flügcldecken, über das Glas der Bullaugen rinnen die Regenperlen. Da wird auch ein bißchen geschaukelt, aber kaum so arg, daß man etwas aus einem Trink- glas versehütten müffte. Der Routinier hat langst den ursprüng- lichen Defekt vergessen, er schnallt sich nur widerwillig an, weil es der Steward bescheiden verlangt, er kennt diese Emo- tion der Elemente. Aus den Herzen der Ängstlichcn flieht un- hörbar ein Stoßgebct. Vielleicht ist auch einer, der krampfhaft verharrt und des Kommenden ängstlich gew"rtig ist. Er denkt vielleicht auch, was wenige denken: ist diese Tat einiger kleiner Menschlein mit zielsicherer Hand und empfindlichem Gehirn nicht ein Aufbegehren gegen die ungeheuren Kriiftc der Natur, Hybris und Anmaßung des Zeitlichcn gegen das Ewige? Es spricht nur von dem Langmut dieser Gewalten, daß sie die Her- ausforderung nicht unverzüglich zu rächen bereit sind. Nicht aller Widersacher Lose sind verwirkt. Nicht jedes Flugzeug wird einfach wie ein Papierdrachen ein Spielball der Stärkeren. Schon sind wir aus der Gewalt des Sturms. Sonnenlicht strömt durch die Fenster. Fast ist ein Aufatmen zu spüren. Die At- mosphäre in der Kabine wird fühlbar leichter. Die Leuchtschrift verschwindet. Man erspart sich die Weisung durchs Megaphon. Die Passagiere blasen kleine Wölkchen wohlriechenden Tabak- rauchs in den begrenzten Luftraum. Durch die Düsen über den Köpfen dringt Frischluft und zerteilt die grauen Schwaden. Ein Blick auf die Uhr. Es ist kaum eine halbe Stunde vergangen. Wir haben noch eine gewaltige Wegstrecke. Die Wolkendecke lockert sich. Weiße Wülkchen hängen zwischen Himmel und Meer wie Watte. Die Uhr ist um vier Stunden zurückzudrehen. Man hat vier Stunden nicht existiert. Noch einmal beginnt das Spiel. In vier Stunden ist es halb fünf Uhr abends. Dann ist die Überquerung geglückt. Sie glückt. Wie sind wir nur über diese Spanne Zeit hinweg- gekommen? Wir wissen es nicht mehr. Leicht und wie selbst- verständlich setzt die Maschine auf der Flugbahn von Recife an. Eine neue, ganz andere Landschaft als in Afrika erwartet uns. Wir gehen mit etwas steifen Beinen über die Treppe. Eine feine Brise weht uns entgegen. Wie milde ist dieser Winterabend. Palmen wehen am Strand. Der kleine Luftbahnhof ist eine be- zaubernde Oase. Ein Gärtchen mit Bambus und Zuckerrohr ist da, mit Dahlien und türkischen Nelken, ein Brunnenbecken. Die kleinen Wimpel der Nationen wehen im Wind. Schön ist der Blick von der Terrasse des Restaurants in die fremde Landschaft. Hier steht nicht der hohe Senegalese, sondern der gedrungene Bauer in Hemditrmcln und mit dem Sombrero auf dem Kopf. Im roten Ackerfeld wiegt sich der Urubu, ein Mangobaum strotzt in grüner Blätterfülle und an der blütenweißen Decke des Re- staurants spaziert eine Eidechse. Sie gleich einer zierlichen Arn- beske. Das ist der erste Gruß in Pernambuco. Welch eine Fülle von Eindrücken wartet noch auf den Ankömmling in Brasilien. 26