werden da Entscheidendes mitzusprechen haben. Der Wiener aus Lindenholz geschaffene Kruzifix mißt in der Höhe 140 cm und die Spannweite der Arme beträgt 119 cm. Das Weichholzkreuz, an dem die Plastik heute befestigt ist, stammt sicherlich aus jener Zeit, als die Neufassung vorgenommen wurde. Von der gleichen Herkunft sind offensichtlich auch die eisernen Nägel, die in Schraubengewinde auslaufen, und das Gewicht des auf der Rück" seite des Oberkörpers tief ausgehöhlten Holzbildwerkes tragen. In der bildnerischen Grundform dieser Kruzifixusdarstellung lebt die Zeit Schongauerlscher Figürlichkeit. Der schlanke, zart- gliederige Körperbau zeigt die meisterlich reduzierende Flächen- Schichtung, mit der Riemenschnciders Gestalten zu ihrer plasti- schen Wesenheit wachsen. Als ein dynamisches System, das in ornamentaler Gleichnishafligkeit spricht, sind die Adern an den Armen und die Furchen geformt, die sich vom Zuge der Körper- last in die Haut und das Fleisch der Handflächen graben und an den Nagelwunden der Füße sich bilden. In mitreißender Form- symbolik ist der Körper gestaltet: Unter der Schwere der letzten Atemzüge wölbt sich die Brust hoch und in flacher Rundung sinkt darunter der Unterleib ein. Unter der eng anliegenden Hülle des Lendentuches formen sich die Schenkel, und in den Linien der Beine liegt willenloses Erleiden, bei dem die Sehnen im letz- ten Krampfe sich straffen, um dann zum vollen Gestrecktsein im Tod zu erstarren. Über der aus tiefer Andacht und Versenkung gestalteten Schau vom leiblichen Martyrium Christi neigt sich der Kopf des Heilands wie zu einem letzten Bekenntnis der Liebe. Ein Bekenntnis, das er in der erfüllten Not seines körperlichen Scheidens der irdischen Welt übergibt. Da der Kruzifixus in der renovierten St. Antonskirche im Fünf- hauser Wiener Gemeindebezirk wiederum als Andachtsbild Auf- stellung finden soll, wurde die Forderung gestellt, daß neben der rein konservierungstechnischen Behandlung desselben auch dafür Sorge getragen werden müsse, daß das Werk im vollen Licht der linken Querschiffwand der Kirche, wo es nunmehr seinen Platz finden soll, auch in seiner äußeren Erscheinung als Kultobjekt den Gläubigen übergeben werden kann. Damit muß- ten die allzu störenden Altersbeschädigungen an den Armen und am links aufflatternden Lendentuch soweit beseitigt werden, daß dadurch das Werk wiederum eine gewisse Geschlossenheit der Wirkung vermitteln kann. Über die neuen Wege, die dabei be- schritten wurden, kann in diesem Bericht nichts Näheres aus- geführt werden. Nur soviel sei hier angedeutet, daß die Findung derselben von dem musealen Grundsatze her erfolgt ist, daß keine restaurative Zutat den nunmehr aufgefundenen Alters- zustand angreifen oder irgendwie dauernd beeinträchtigen darf und daß die Wiederentfernung von allem, was einer äußerlichen Ästhetik gemäß dazugegeben werden mußte, jederzeit in leich- Ler Form durchführbar bleibt. YDER ZEITLOS EK ZUR KUBIN-AUSSTELLUNG IN DER ALBERTINA Von JÖRG MAUTHE Natürlich wird man in der Albertina angesichts der Kubin- Kollektion versuchen, an diesen Blättern aus den letzten zehn Jahren irgendeine Besonderheit festzustellen, irgend etwas, was dafür spräche, daß die Kunst des Achtzigjährigen nunmehr in eine neue, letztgültige Phase, sozusagen in einen Ur-Altersstil eingetreten ist. Man wird es versuchen, aber es wird nicht sehr viel dabei herausschauen. Kubins Zeichenkunst ändert sich nicht mehr. Sie ändert sich nicht mehr, weil sie sich im Grunde nie verändert hat. Nach wenigen - übrigens ausreichend bekannten _ Ver- suchen und Experimenten war sie im Jahre 1908 eines Tages da. Und so, wie sie plötzlich da war, blieb sie. Von den zahl- reichen und faszinierenden Aspekten, die Kubins Lebenswerk bietet, ist dieser einer der verwirrendsten: da ist ein Oeuvre, das in fünf Jahrzehnten entstanden ist und doch weder in sich weiterentwickelt wurde, noch irgendeine Entwicklung außerhalb des eigenen Bereichs zur Kenntnis genommen hat. Gewiß gibt es in diesem so umfangreichen Lebenswerk allerlei Schwankun- gen: der Strich ist manchmal zart und spinnwebartig, manchmal robuster, löst sich hie und da wieder flockig auf, um bei Ge- legenheit zu verworrener Zartheit zurückzukehren; es gibt Jahre, in denen die Wasserfarbe etwas häufiger mitspielt, gewisse Themenkreise treten auf und verschwinden, um nach vielen Jahren wiederzukehren - aber doch, wie geringfügig sind diese Variationen im Vergleich zu den Stilschwankungen im Oeuvre fast aller anderen bedeutenderen Zeitgenossen! Die Stilkritik wird es mit dieser Kunst immer schwer haben, denn des Meisters Stil hat so wenig einen Lehrer gehabt, wie er - bis jetzt - einen begabten Schüler gefunden hat. Jedes zweite Kubin-Blatt beschäftigt sich mit den Wirkungen der Zeit, mit den Schäden, die sie verursacht, mit ihrer Unerbittlichkeit, ihren Gespenstern. Aber die Kubin-Blätter selbst sind zeitlos. Heute entstanden oder vor zwanzig Jahren, könnten sie ebenso- gut im neunzehnten Jahrhundert oder im siebzehnten oder zur Zeit der Donauschule entstanden sein, spräche nicht das Motiv- Inventarium hier und da gegen eine solche Annahme. Aber auch Kubins Motivik ist trügerisch. Es gibt da ein noch nicht altes koloriertes Blatt in der Albertina, das einen Pflug zeigt, der durch den Acker gezogen wird; über diesem friedfertigen Idyll aber taucht eine Vision höhnischer Bedrohung auf -- ein russi- scher Soldat offenbar. Es ist dies also eines von den seltenen Blättern, in denen man ein aktuelles Motiv erkennen kann, die russische Besetzung etwa des benachbarten Mühlviertels. Aber wie undeutlich ist gerade das Aktuelle daran: der Russe trägt eine Kosakcnmütze von 1917, er sieht überhaupt nicht sehr russisch aus, es könnte sich ebensogut um einen Pandur handeln - wie er aus anderen Blättern bekannt ist - und wenn es den- noch ein ru. ischer Offizier ist, wofür allerdings die Achsel- stücke zeugen, warum halten seine Zähne ausgerechnet eine österreichische Virginia? Man sieht, es stellt sich sofort Un- sicherheit ein, wenn man zwischen Kubin und der Kalendcrzeit einen Berührungspunkt sucht. Man gestatte zur Illustration einen etwas persönlicheren Bericht. Vor etwa zwei Jahren besuchte ich Kubin in seinem Bauern- schlößcheti Zwickledt. Er empfing meine Freunde und mich mit bezaubernder Höflichkeit, erkundigte sich nicht einmal nach un- seren Namen und hat uns zweifellos sofort nach unserer Ver- abschiedung wieder vergessen. Er gab uns zahlreiche Beweise geistiger und körperlicher Rüstigkeit, während er uns durch sein ganzes Haus und durch dessen Umgebung führte - unter ande- rem auch an jenem berühmten Zwickledter Tümpel vorbei, aus dem er so viele Drachen, Riesenfische, Saurier und andere Schrecknisse gezaubert hat, was uns in Anbetracht der paar Quadratmeter Wasserflfiche als besonders großartige Leistung