heit rnaßvollwirkt. Wohl ist die Muschel auch hier zumfkenn- zcichnenden Ausdruck geworden, wir sehen, wie. aus bizarren Motiven der Natur irreale Formen gebildet werden, wie sich dieseaber mit althergebrachten realen verbinden und so ein nicht extrem phantastisches Gesamtbild erstehen lassen. Auf den Wilheringer Musterkarten der Rocaille sehen wir, wie zu den in Bewegung, geratenenalteren Ornamenten, so dem Akanthusblatt und sonstigen vegetabilischen Motiven, zu den oft in ausgreifenden C-Kurven aufgerollten Bändern, zu den Ro- setten, Gittern und Knöpfen - eine Vielfalt asymmetrischer, zün- gelnder, hahnenkammartiger und felsiger, grottiger Gebilde treten; bei aller scheinbaren Ungebundenhcit ist trotzdem der Drang zu harmonischer Einheit allmächtig. Als typisches Bei- spiel des Rocaillestils sei auf die sogenannten Apostelleuchter hingewiesen, an jenen Stellen angebracht, wo die Kirche geweiht wurde. Sie sind nach der Art der Kandelaber Meissonniers in Paris gestaltet, aber doch in ihrer züngelnden Bewegung ge- mildert. Muster bewegtestcr Rocaille finden wir in den Altar- aufsätzen und besonders in den Umrahmungen der zwei großen Medaillons mit Reliefs vor den Altarschränken. Umfangreichere formensprühende Kundgebungen des Rokolto- willens zeigen sich über dem roten Gesimse, das den Kirchen- raumdurchzieht, ihn in eine untere und eine obere Sphäre tei- lend. -Im unteren, mehr noch mit den Menschen irdiseh verbun- tdenen Teile, fallen der Aufbau der Chororgel und der Kanzel auf. Die als zweite Brucknerorgel bezeichnete Chororgel - dcr „Musikant Gottes" hat hier oft gespielt - umschweben reizende vlingelsputten. Auf dem Schalldeckel der Kanzel steht die be- wegungsvolle Gestalt des hl. Bernhard im Kampfe gegen die Albigenser. Überaus wirksam wird der Aufbau dieser Kanzel durch die feine Farbengebung unterstützt. Das satte Braun des angrenzenden Chorgestühls bringt das in Weiß und Gold ge- haltene Corpus zu_ vollendeter harmonischer Wirkung und die zartrot gefärbten Ornamente der umgebenden Wandfläche för- dern den wohltuenden ästhetischen Eindruck. Eine solche zar- tere Farbengebung tritt in der ganzen Kirche hervor im Gegen- satz zu dcr kräftigeren Kolorierung bayrischer Rokokokirchen. Ein ähnlicher Unterschied vom österreichischen Empfinden ist in diesen Kirchen in ihrer extremeren Ornamentierung zu beob- achten, die von den Cuvilliers, Vater und Sohn, eingeführt und von ihren Adepten oft gesteigert wurde. Eine seltene Eigenart besitzen zwei Seitenaltärc der Wilheringer Stiftskirche, und zwar die oberen Teile des Schutzengelaltars und des josepbsaltars. Während auf letzterem in einem silbernen Dreieck das Auge Gottes funkelt, ist über dem ersteren das Ohr Gottes zu sehen. Meisterhafte Engelsputten im Scheinkampf um- schweben diese symbolischen Darstellungen. Auch an anderen derartigen Symbolen ist die Kirche sehr reich. Gekuppelte Pilasterpaare gliedern die Wandflächen. Über den prunkvollen Kapitellen, aus deren muscheligen Verzierungen je ein Engelsköpfchen ragt, verbinden Architrave je zwei Pilaster und vermitteln den Übergang zum roten Hauptgesimse. Dieses läuft aber nicht ununterbrochen waagrecht weiter, sondern die Arkadenbogen der Seitenkapellen führen es als reines Dekora- tionsglied höher, so daß sich eine schwingende Bewegung ergibt. Die großartigste Kundgebung des Rokoko in Wilhcring finden wir über dem roten Gesimse im oberen Teil der Kirche. Da sehen wir seinc unzähligen Formen in Ornamenten, Kartuschen, Me- daillons und farbcnreichen allegorischen Figuren. Alle verkün- den im Sinne der lauretanischen Litanei das Lob Mariens. Über die Deckenkehle hinaus reicht die Pracht, führt, durch die Architekturmalerci Messentas unterstützt, zum visionären Höhe- punkt des zur Erde herabsteigendcn Himmels. Im großen, 18 Meter langen Deckenfresko, der gemeinsamen Meisterlcisung von Vater Martino und Sohn Bartolomeo Alto- montc, findet die im Hauptaltar begonnene Darstellung der Him- melfahrt Mariens in jubelnden Lobpreisungen ihre Vollendung. Das Museum des Stiftes besitzt die Entwürfe sowohl des Haupt- Apostelleuchter altargemäldes wie des Deckcnfreskos in pastoscn Ölfarben. Der Gottesmutter werden in Gruppen Huldigungen dargebracht. jede der Personen ist ausgezeichnet charakterisiert. Die Stiftsbibliothek bewahrt einen Brief Martino Altomontes an den Abt von Wilhering, in dem er eine Forderung von 1200 auf 400 Gulden ermäßigt, aber seinen Sohn Bartolomeo für die Ma- lerei der Fresken „anrekommendiet-t", „von dem ich überzeugt bin, daß er ein großes contento geben würde". Vorzügliche Leistungen sind auch die Dcckenfrcsken im Quer- schiff mit marianischer Thcmenstcllung. Für die musikalische Auffassung kennzeichnend ist das künstlerisch vollendete Fresko der Chöre der Engel mit alten Musikinstrumenten auf der Decke des Presbyteriums. Die Kulmination reichster allegorischer und symbolischer Aus- stattung wird in der Flachkuppel erreicht. Die zu ihren Seiten ge- spannten Gurten enthalten reliefartige Zeichnungen in gelber Farbe. Die Stuckarbeiten an den Umrabmungcn der Fresken führte zu- nächst der Stuckmeister dcr Kaiserzimmer in Sankt Florian, Franz Joseph Ignaz Holzingcr, aus. Er verwendete hauptsäch- lich Bänderwerk und Akanthusblätter, also Ornamente älteren Stiles. Abt Johann Baptist wollte aber das neueste Muschelwerk an den Decken sehen, deshalb wurden auch diese Arbeiten den Vertretern der Wcssobrunner Stukkatorenschulc Übclhör und Feichtmayr übertragen. Der überqucllende Reichtum der Kirche an feinsten Formen und Farben wird schließlich auch in der Partie der großen Orgel sichtbar. Der Musikchor erhebt sich auf vier Marmorsätilen, der Aufbau ist mit zahlreichen alten Musikinstrumenten geschmückt. Auf dem linken Pfeiler, einer der schönsten Engel von Übelbör, in der sogenannten „Allegorie der Liebe", zuoberst der Sänger des Liedes, König Salomon. Auf der rechten Seite wiederholt sich die Fülle der Ornamente und Farben. Das Reich der Töne klingt immer mächtiger, - ein schwcbendes rhythmisches Ent- rücken aus der Wirklichkeit. Auf der rechten Seite oben erscheint im Medaillon der königliche Sänger David als Patron der Kir- chenmusik. Diese wirkte wohl mitreißend und einigend auf die Künstler, wie Altmeister Cornelius Gurlitt in seiner 1889 erschie- nenen Kunstgeschichte des Barock sagt: „Im Sinne eines Ju- belgesangcs." 22