Elxc Kupfer. O! auf Leinwand, 90x71 cm. 1910111. Zürich, Kunsthaus. Mit allem Raf- Iincmcnt ist dicses großartige Werk bis ins Letzte durchgearbeitet. Auch hier ist das Makubre, Krankhafte, als Zeichen der Zeit unbewußl erlebt und gestaltet, besonders be- lont. der erbarmungslose Enthüller und Deuter im Kampf mit dem Humanisten, dem Menschenfreund, dem Mensch-Gläubigen. Die Frage ist nicht schwer zu beantworten, welche der beiden Seelen in Kokoschkas Brust gesiegt hat . . . Im Sinne eines betonten Humanismus steht Kokosehkas Kunst letztlich eigentlich gegen die Zeit (vor 1914j18 war sie ihr vor- aus). Es ist kein Zufall, daß Kokoschka. sich seit den Dreißiger- jahren in immer stärkerem Ausmaß einer allegorischen Sprache bedient, um dem Menschen einen Spiegel seines Tuns und Trei- bens vorzuhalten („What we are fighting for," „Therm0pylen"). Es nimmt nicht wunder, daß daher das Spontane, „Getriebene", zutiefst Dämonische aus seinem Werk im Laufe der Entwick- lung zunehmend entschwindet. Auch im Porträt ist es so, dsll die Dargestellten nicht mehr Vehikel und Ausdrucksträger tic- ferer, wirkender Wahrheiten sind: Entweder handelt es sich um Allegorien (Porträt Masaryk), oder einfach um „schöne" Bilder von meisterlicher Hand. Immer seltener wird man unter den Mo- dellen der Zeit seit dem ersten Weltkrieg Literaten und Schau- spieler finden - heute sind es fast nur mehr reiche Schweizzr und Amerikaner, die sieh den Luxus eines Kokoschka-Porträts leisten können. Ist so Scheinbar in der Entwicklung des Künstlers ein Umschla- gen ins Gegenteil festzustellen, so gibt es eine n Faktor gran- dioser Kontinuität, der sein Gestern mit dem Heute verbindet: Wir meinen die Landschaften und Städtevcduten, in denen die Kunst Kokoschkns sich mit einem erstaunlichen Gleichmaß an malerischer und expressiver Qualität manifestiert. Kokoschka sieht die „Nntur" immer als Großstädter, es fehlt jene spontane Beziehung, die bei van Gogh bestand. Aber bei Kokoschka ist die Natur der Bergwclt (Dent du Midi, Courmayeur, Lac d'An- necy) in ihrer grandiosen Bewegtheit und Erregtheit ein Stück Kosmos, Zeichen jener Macht, die alles bewegt, an der jeder Pessimismus zerbricht. Seine Stadt-Landschaften sind in die Na- tur eingebettet, nehmen an ihrem Rhythmus teil, sind manch- mal - besonders in den hinreißenden Prager Veduten - wie ein Dankeshymnus und ein Bekenntnis zum Göttlichen. In ihnrn waltet der gleiche Geist, der einem Altdorfer den Pinsel führte und einen Bruegel die Folge der Monatsbilder schaffen ließ. Und wenn mit zunehmendem Alter auch manches Spannungsmoment fortfiillt, wenn die Kompositionen ruhiger, gleichsam stabiler werden, so mag dieser Wandel mit rein persönlich-menschlichen Entwieklungsmomenten zu erklären sein - die Grundgesinnung erfuhr keine Änderung. Wollen wir in einem Satz zusammenfassen, wer Kokoschka war und was er ist, so kommen wir etwa zur folgenden Formu- lierung: Einer der e r s te n Seher der modernen Zeit, einer ihrer le t z t e n großen Maler.