auf dic Analogie mit den fünf Wunden Christi hingewiesen wird), gab es auch in Wien ein solches, das jedoch nicht mehr erhalten ist. Spätere barocke Nachfolger aus dem 17. Jahrhundert mit der Wiedergabe eines niederländischen Bruderschaftsbildes, deren Vorläufer Andachtsblätter, wie das vorliegende, gewesen sein könnten, sind in Wien und Niederösterreich nachweisbar. Wir werden also vielleicht annehmen dürfen, daß Cranach für eine Wallfahrt ein solches Andenken geschaffen hat. Bleibt noch die farbige Ausmalung des Bildchens zu behandeln. Sie wird auf Angaben des Künstlers zurückgehen. Das warme Gelb, das dunkle Blau, das Grün der Dornenkrone, das satte Rot der Wappenschilde, besonders aber der Dreiklang: Rot-Blau- Gelb ist für den jungen (Iranach charakteristisch. Vom ersten bekannten Bild (Schottenstift-Kreuzigung) bis zum Porträt des Kardinals Albrecht von Brandenburg in Darmstadt von 1525 kommen diese Farben immer wieder vorherrschend zur An- wendung. Obwohl es natürlich gewagt ist, das einfache, hand- werksmäßige Kolorit eines Andachtsbildchens mit den Farben eines Gemäldes überhaupt nur zu vergleichen, so bleibt die Tatsache einer Vorliebe für gewisse Farbklänge beachtenswert, ohne daß wir ihr allerdings große Bedeutung zumessen wollen. Es gibt wenige berühmte Künstler vom Range Lucas Cranachs, über deren Jugendwerke man schlechter unterrichtet wäre. 1472 im oberfrankischen Kronach als Sohn eines Malers namens Hans geboren (von dem überhaupt kein sicheres Werk belegbar ist), tritt Lucas erst kurz nach 1500, anlüßlieh einer Reise nach Wien, mit signierten bzw. datierten Werken ins Licht der Ge- schichte. Merkwürdig spät, also, ein fertiger Meister. Er soll bis etwa 1498 im Heimatort nachweisbar sein, der nahe an der Grenze von Sachsen liegt, wohin er auch dann 1505 als Hof- maler berufen wird. Die Entdeckung seiner Wiener Jahre ist erst eine Leistung unseres Jahrhunderts. Mit ihr wurde ein ganz neuer Cranach bekannt, der genialisch-ungestüm, voll wilder Drastik, zusammen mit Jörg Breu, Rueland Frueauf u. a., auf fremdem Boden, die sogenannte „Donau-Schule" begründet. Er muß die großen Altarbilder der bayerischen Schule, eines Jan Polak, Mälesskircher, aber auch die Werke des Kreises um Mich. Pacher, also z. B. Marx Reichlich, gekannt haben. O. Benesch (Bcitr. z. Gesch. d. deutschen Kunst II, 1928, 229 ff.) hat gezeigt, wie man sich das künstlerische Leben in Niederöster- reich um diese Zeit etwa vorzustellen hätte: neben dem über- ragenden Lucas Cranach arbeitet der etwa acht Jahre jüngere Jörg Breu aus Augsburg; er malt große Altarwerke (Zwcttl, Herzogenburg, Melk, zwischen 1500-02); aber auch ein Kanon- Holzschnitt von 1502 und zwei weitere für ein Missale, das 1504 in Augsburg erschien (wobei auf eine etwa ein bis zwei Jahre frühere Entstehung gedacht werden kann), können Breu mit Sicherheit zugewiesen werden. Diese Schnitte zeigen den Einfluß des schon im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts für die Offizin Radolt tätigen Hans Burgkmair. Schlanke, spröde Ge- stalten „in düsterer Dramatik", die aber recht entfernt von der wilden und massiveren, großartigen-n Art des oberfränkischcn Cranach sind. „Mir scheint, daß gerade die zeitweilige Freiheit von dem Druck der spatgotischen Tradition, die Unabhängigkeit von den starren, oft retardierenden Satzungen der Zunft - vermutlich haben Breu und Cranach als freie. unzünftige Wandermaler gearbeitet - ferner die Möglichkeit, auf eigene Faust umfängliche Aufträge bewältigen zu können _ daß gerade diese günstigen, einer tat- hungrigen Jugend Bewährung und Entfaltung ermöglichenden Umstände die äußeren Voraussetzungen für die Leistungen der wandernden Maler gebildet haben. Schon die Tatsache, daß die Ausführung von umfänglichen Altztrmalereien (Brcu) und Bild- nissen hochgestcllter Persönlichkeiten (Cranach) an von auswärts stammende Künstler vergeben wurde, spricht dafür, daß es im eigenen Gebiete an geeigneten Kräften mangelte" (Buehncr, I. c. S. 274). Man nimmt heute an, daß Österreich in der 1. Hälfte des 16 15. Jahrhunderts eine reiche Tätigkeit auf dem Gebiete des frü- hesten Holzschnittcs entfaltete, vor allem in Salzburg und Böh- men, aber auch in Niederösterreich. Doch scheint ein starkes Nachlassen dieses Aufschwunges für die 2. Jahrhunderhälfte ebenso sicher zu sein. Zögernd wird die Neuerung des Buchdruk- kes aufgenommen, und erst in jenem Schicksalsjahrc 1502 er- scheint auch das erste umfangreichere und bedeutendere Holz- schnittbuch, die Beschreibung des Wiener „Heiltums", eine Schil- derung der Reliquien- und Kirchenschätze von St. Stephan, also so etwas wie ein Vorläufer der Museumskataloge. H. Gollob, „Der Wiener Holzschnitt von 1490 bis 1550", bespricht das Büch- lein ausführlich in zwei Kapiteln und bildet alle großen Schnitte ab. Sie sind angeblich von drei verschiedenen Händen, aber Erich Wagner („Cranach und derWienCr Holzschnitt", Mitteilungen der Gesellschaft für vcrvielfältigcnde Kunst, Beilage der „Graphi- schen Künste", Jahrgang 1927, Seite 56 ff.) hat überzeugend nachgewiesen, daß diese Annahme kaum stimmen kann und daß auch Cranach nichts mit der Illustration dieses Werkes zu tun hatte. Aber sein Drucker, Joh. Winterburger, d. h. Wiens bedeutendste Offizin in der Frühzeit, brachte kurz darauf (1503) ein Missale Pataviense heraus, dessen Schnitte sicher von Cra- nach entworfen wurden. Dodgson hat zuerst eine ausführliche Beschreibung gegeben. Die Hauptblätter, der eingangs erwähnte Stephan und eine großartige Kanon-Kreuzigung, von der in Dresden als Unicum eine frühere Fassung existiert, sind sicher vom Künstler unserer Sehmerzensmutter gezeichnet, vielleicht aber sogar geschnitten worden, denn die Schnittausführung fast aller dieser großen Blätter weist, mit wenigen Ausnahmen, einen gewissen Mangel an Routine auf, über die gewerbsmäßige Form- schneidcr auch damals schon verfügten. Trotzdem zeigen sie alle eine Vertrautheit mit der Wirkung des Materials, die die Vermutung vielleicht nicht ganz abwegig macht, ob Cranach vielleicht in seiner Jugendzeit auch Schnitzer war. Die plastische Fülle der ersten graphischen Werke unterstützt diese, unseres Wissens noch nicht vorgeschlagene Hypothese, Denn: was hat Cranach vor seinem 28. bis 30. Jahre getan? Seine Grabschrift bezeichnet ihn als „Pictor celcrrimus", also als einen sehr rasch arbeitenden Künstler, wofür ja auch die fast unübersehbare Pro- duktion in den unmittelbar folgenden Wittenberger Jahren spricht. War er etwa als Glasmaler tätig? Hier könnte die Sel- tcnheit des Erhaltencn ins Feld geführt werden. Es gibt auch noch eine andere Hypothese, die sich mit der Jugend des Künstlers befaßt. Er bzw. sein Vater werden hinter dem Monogrammisten LCz vermutet. Eine der letzten der uns vor- liegenden Arbeiten über die Frühzeit Cranachs (Eberhard Schenk-Gotha, „Der Meister LCz", Zeitschrift für Kunst, 1. Jahr- gang 1947, Heft 4, Seite 26) nimmt die Identifizierung mit dem Monogrammisten LCz neuerdings in Angriff, die allerdings von Lehrs zwischen 1888 und 1927 verschiedentlich ausführlich be- handelt und abgelehnt worden ist, zuletzt in seiner „Geschichte und kritischer Katalog" VI, 1927, Seite 314ff. Lehrs sieht in jenem Monogrammisten LCz von 1492 bzw. 1497 zwar einen der „hervorragendsten Kupferstccher seiner Zeit", stellt ihn sogar neben den Hausbuchmeister, ist aber davon überzeugt, daß er ein „zünftiger Goldschmied" war, der vielleicht aus der ober- fränkischen Heimat Cranachs stammt. Ob aber etwa Cranach bei ihm gearbeitet hat, wird nirgends in Betracht gezogen. Rät- selhaft bleibt ja nach wie vor, daß erst sichere Arbeiten des 30jährigen aufgefunden werden konnten, denn auch ein Berufs- Wechsel ist in jenen Zeiten strengster Zunftordnungen kaum wahrscheinlich. So kann man abschließend wohl nur das Auftauchen eines Blattes aus dem engsten Umkreis des ungestümen, genialen Künstlers be- grüßen. das vielleicht vor allem Bekannten seiner Hand entstan- den ist. In der spätgotischen Tradition verhaftet, zeigt es in Form und Einzelheiten jenen ungemeinen Mut zur Drastik, zu einem rücksichtslosen Naturalismus, der auch in der Gottesmutter nur eine einfache, derbe, alternde Magd gesehen und dargestellt hat.