im 19. Jahrhundert lebte und eines der ersten Mitglieder der
kaiserlichen Kunstakademie in Tokio wurde. Abb. 2 zeigt, in
Blutstein (Hämatit) gearbeitet, eine Schildkröte. Ein Perlmutter-
Plättchen auf der Bauchplatte des Tieres trägt dic Signatur Ju-
raku, eines Künstlers des 19. Jahrhunderts (wahrscheinlich ein
Schüler Horakus). Das Material ist bemerkenswert und selten
anzutreffen, die Schneidearbeit hervorragend, und die symboli-
sche Verknüpfung, ein Tier, das nach japanischer und chinesi-
scher Anschauung langes Leben versinnbildlicht, mit dem als
Heilstein bekannten Hämatit in Verbindung zu bringen, äußerst
reizvoll.
Die Holländer waren die ersten, welche mit den Japanern Han-
del trieben und neben den noch früher in Japan an Land gegan-
genen Portugiesen die ersten Fremdländer, welche die Japaner
zu sehen und zu studieren bekamen. Es ist daher nicht zu ver-
wundern_ daß Holländer in allen Varianten, als Koch, Last-
träger, Trompctenbläser, Federhutträger etc. zu den Motiven
alter Netsukes gehören.
Die unter der Nummer 1, 4, 5, 7 abgebildeten Stücke stammen
aus dem Besitz Prof. Richard Tcschncrs. Er war ein großer Ver-
ehrer und Kenner exotischer Kunst. Er hatte auch Japan bereist
und eine Unmenge Kunstgegenstände und kunstgewerblichc Ar-
beiten nach Wien gebracht.
Abb. 7 bringt in bunt gelacktem Holze ohne Signatur, nach Art
der Naraschule, einen Shintopriester, der eine große Tempel-
schelle, auch Mokugyioglocke genannt, mittels eines großen, gro-
ben Pinsels reinigt. Das Motiv ist äußerst oft anzutreffen und
seine Abwandlung nur sehr geringfügig. In Abb. 4 wird ein
Vogelmensch, ein sogenannter Tengu, gezeigt. wie er mit seiner
langen Nase Brei in einer Schale rührt. Auch dieses Motiv ist
in der darstellenden Kunst Japans und als Netsuke häufig anzu-
treffen. Es ist aus Holz geschnitzt, stammt aus dem 18. Jahr-
hundert und ist nicht bezeichnet. Abb. 1 zeigt einen in gelacktem
Holz ausgeführten blinden Geschichtenerzähler. Wie treffend
weiß doch der Schnitzer die zum Licht erhobenen, erloschenen
Augen des Mannes zu zeigen und seine Haltung zu charakteri-
sieren. Der Kopf und die kleine winzige Zunge sind beweglich.
Abb. 5 schließlich bringt einen der sieben japanischen Glücks-
götter, der „shichi fukujin", und zwar Fukuokuju, den Gott des
langen Lebens. Er hat einen riesig überhöhten Kopf, welcher
in der vorliegenden Nctsukcdarstellung durch eine Art Haube
bedeckt ist. An seiner Seite geht ein Knabe, der eine Schriftrolle
hält, auf welcher das Zeichen Ju-, langes Leben, zu lesen
steht. Das Netsuke wurde sicher einem Kindc gegeben und da-
mit de: Wunsch nach Gesundheit und langem Leben zum Aus-
druck gebracht. Die Holzschnitzerei ist nicht signiert und stammt
aus dem 18. Jahrhundert.
Neben den bereits erwähnten Sammlungen sei noch auf die
Sammlung des Erzherzogs Franz Ferdinand hingewiesen, die die-
ser von seiner Weltreise heimbrachte und dem Völkerkundemuse-
um schenkte. Es sind einige alte und originelle Stücke dabei,
darunter auch von Kokusai, einem ob seiner originellen Net-
sukearbeiten berühmten Meister. Die Sammlung Anton Exncrs
ist zum Teil dem Österreichischen Museum für angewandte
Kunst gewidmet worden und befindet sich dort in Katalogisie-
rung.
MEISTERLICHE JAPANISCHE
GEBRAUCHSGRAPHIK
Von JOHANN MUSCI
IK
Einer der häufigsten Vorwürfe, die gegen moderne Kunst er-
hoben werden, ist der der Gleichmacherei. An allen Enden und
Ecken der Welt werde heute ä la Picasso, ä la Max Ernst,
ä la Mondrian und Kandinsky und jackson Pollock gemalti
Als ob die großen alten Stile nicht auch über große Teile der
Welt verbreitet gewesen wären! Der Siegesmarsch neuer Ent-
deckungen, neuer Errungenschaften in der heutigen Kunst über
beinahe die ganze Welt hängt mit dem UmSttlnd zusammen,
daß die ökonomisch-politische, die technisch-kulturelle Verflech-
tung der Völker ungleich entwickelter, dichter, intensiver ist
als jemals zuvor, trotz aller Gegensätze, aller Rivalitäten der
Staaten.
Die Publizilät der Ereignisse, die Technik der Kommunikation
sind ins Ungeheure gewachsen. Aber immer noch gibt es Origi-
nalität in der Welt, die heute wie einst zum großen Teil in der
nationalen, lokalen, individuellen Abwandlung allgemein gül-
tiger Prinzipien besteht. Unterschiede der Tradition spielen eine
bedeutende Rolle. Und so zum Verwechseln ähnlich sind die
Bedingungen, unter denen der Geist waltet, auch in der Gegen-
wart nicht, daß der kulturelle Einheitsbrei wirklich entstehen
müßte, von dem in antimodcrnistisehen Cassandrzirufen so laut
und häufig die Rede ist.
Das Genie der Nationen, der Persönlichkeit, lebt noch immer
und Möglichkeit genug zu seiner Entfaltung besteht; man darf
vielleicht sagen: je weiter die Entwicklung fortschrcitet, desto
mehr. Denn Separation hat selten den schöpferischen Geist be-
fruchtet. Die Leistung ist zu allen Zeiten in weit höherem Maße
eine Folge von Aufgeschlossenheit gewesen. DalS die Völker an
ihren Errungenschaften wechselseitig teilnehmen wollen und daß
sie dazu mehr Gelegenheit als in den alten Zeiten haben, (Lts ist
ein Fortschritt.
„Heute stehen die japanischen Graphiker vor allem dem Pro-
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