Abb. 8: Auf dem Lande. Applikation in Gemein- schaftsarbeit entstanden (iO-jährigc) sich als sein tätiger Vollstrecker zu empfinden und zu bewähren lernen. Da kommt es also gar nicht mehr auf hübsche Bildchen, auf „P0rträts", „Landschaften" und „Stilleben" analog der „künstlerischen" Malerei an, sondern einzig und allein auf wirkliche Eroberungen und Erkenntnisse von Stoff und Form, Raum und Farbe, wie sie zum Teil in den Vorkursen am Weimarer Bauhaus erst mühselig aus dem Schutt des Kunst- geschwafels ausgegraben und neu erarbeitet werden mußten. Daß also der Übergang von der vorbewußten in die bewußte Kindheit bisher fast stets zu einer Krise wurde, in der die bildnerischc Potenz des Kindes jämmerlich zugrundeging, ist nicht die „Schuld" der Natur noch die des Kindes, sondern die einer Pädagogenschaft, die das Parallelverhältnis zwischen den Traumspielen der frühen Kindheit und den bildncrischen For- schungsabenteuern nach der Pubertät nicht glaubhaft darzu- stellen und durchzuführen wußtc, sich also außerstande zeigte, das Kind auf seinen neuen Weg zu bringen. Sie fing viel- mehr seine plötzlichen Zweifel und Unsicherheiten mit den Netzen schöpfungsferner und „wenig seiender", aber meist mit „Idealen" herausgeputzter Programme ein, in denen viele er- stickten, andere zu nutzloser Opposition getrieben wurden, während sich das Gros in zynischer Resignation den Gepflogen- heiten des „praktischen Lebens" ergab. Der Rückgang nämlich oder gar das Verschwinden der bildne- risehen Anlagen und Bedürfnisse beim Kindc wird heute noch von vielen Erwachsenen, darunter sogar vielen „Pädagogen", als ein Gewinn, weil als ein Zeichen für das „Vernünftig- und Erwachsenwerden" des Kindes angesehen, während in Wahrheit ein schwerwiegendes Verhängnis vorliegt. Das überhandneh- mende zivilisatorische Dasein mit seiner den Menschen aus- höhlenden und zermürbenden Konsum- und Komfortbeflissen- heit bedarf immer dringlicher eines Gegengewichtes, wenn der Mensch nicht nachgerade verkümmern und zu einem bloßen Nebenprodukt der fast autonom gewordenen und morgen viel- leicht schon „automatisehen" Wirtschaft entarten oder aber ihrer experimentellen Explosivität zum Opfer fallen soll. Wie aber will man dieses Gegengewicht zustande bringen? Etwa durch pathetische Denkmztlreden und „IdeaP-Besehwörungen, wie sie die Mittelmäßigkeit so gerne auf Lager und auf der Zunge hat? Oder ist es nicht vielmehr erforderlich, die kreatür- liche, also die körperliche, seelische und geistige Ganzheit des Menschen aufzubieten, sie überhaupt erst einmal wiederherzu- stellen oder richtiger: sie gleichfalls und zwar im Sinne einer historischen Nach-Pubertäts-Erkenntnis zu gewinnen und ent- sprechend auszubilden, damit der Mensch seine typisch partielle Existenz der balancelosen Übergewichte und entsprechenden Konflikte überwinden kann? Eine solche Ganzheit aber setzt unstreitig die volle Aktivierung gerade der bildnerischen Potenz voraus. Denn sie allein ist es, die den Menschen nicht nur zusammenhält, sondern ihn auch in seinen wesentlichen Kontakt zu allem Leben um ihn bringt. Nur sie und ihre wache Tätigkeit kann ihn die tätige und selber bildnerische Wirklichkeit in diesem Leben wahrzunehmen, zu erkennen und sich ihr einzufügen lehren. Die Kindermalereien wieder legen den Grundstein hierzu. Sie so ganz nüchtern ver- stehen und auf sich wirken lassen, statt um der „KinderkunsW willen die Augen zu verdrehen; dem Bildnerischen den Sprung über die Hürde der Pubertät erleichtern helfen, also der un- bewußten Geborgenheit des Kindes den Weg ins geistige Be- wußtsein von der bildnerischen Kraft, dem bildnerisehen Ge- staltverlangen in allem Sein bereiten, heißt dem Reichtum der wesentlichen Kinderrnalereien die richtige Beachtung schenken. 31