DER HERZOG VON REICHSTADT AUF EINEM GRUPPENBILDNIS VON FERTBAUER Von INZ SCHONY Ein wenig bekanntes Ölbild des Wiener Malers Leopold Fert- bauer aus dem Jahr 1826 stellt die kaiserliche Familie dar, so- weit sie damals in Wien weilte. In einem umlaublen Gartenhaus aus Holzbalkcn, das der Laxcnburger Gotik ähnliche Formen aufweist, sind anscheinend zwanglos sieben Personen gruppiert: links von dem alternden Kaiser Franz dessen vierte Gemahlin Karolina Augusta, auf der anderen Seite Sophie von Bayern mit ihrem Gatten Erzherzog Franz Karl und dessen Bruder Fer- dinand, zwischen beiden Gruppen aber die Witwe Napoleons mit ihrem Söhnlein Napoleon Franz Karl Josef, dem Herzog von Reichstadt. lis scheint, als wäre die ganze Gruppe nach der Natur gemalt. Doch melden sich Bedenken, daß ein damals so junger Maler Gelegenheit gehabt haben sollte, bei Hof zu por- trätieren - obgleich das konkrete Datum in der Signatur dies vorzugehen scheint. Fertbauer war ja noch Schüler der Aka- demie, trat anfangs als Landschafter und erst ab 1830 als Por- trätist hervor. Für das Datum des 12. Juni 1826 ist kein Ereignis im Kreise der Kaiserfamilie nachweisbar, nicht einmal ein per- sönlicher Festtag (etwa Gcburts- oder Trauungstag) einer der dargestellten Personen. Wahrscheinlicher ist ein für den Maler wichtiges Datum (Beginn. oder eher Beendigung des Gemäldes), es wäre sogar denkbar, daß dieses Gruppenbildnis retrospektiv gleichsam als Historicnbild zu werten ist und das genannte Da- tum gar nichts mit der Entstebungszeit des Bildes zu tun hat. Wir wissen dies aber nicht. - Wir finden alle Personen der kaiserlichen Familie auf dem Bild, die in Wien waren, mit Ausnahme der jüngsten Tochter des Kaisers, Maria Anna. Von seinen Kindern waren nur mehr zwei Söhne am Leben (Franz Karl seit 1824 verheiratet, Ferdinand noch unvermählt), von den Töchtern drei 1810, 1817 und 1819 nach auswärts verheiratet, eine davon bereits wieder, seit 1821, verwitwet: Maria Louise. Ihr Sohn hatte eben erst, am 20. März 1826, seinen 15. Geburtstag gefeiert; er steht im Mittelpunkt der Bildkomposilion, seinetwegen oder jenes Anlasses wegen könnte das Bild gemalt worden sein. Der „Wiener Zeitung" vom 10. Juni 1826 kann man die Nach- richt entnehmen, dafl Maria Louise mit ihrem Sohn und den Erzherzogen Anton und Ludwig, ihren Oheimen, im Marstempel im Prater ein Kunstwerk von Lorenz Sacchetti besichtigt hatte, und am 22. Juni erfährt man bereits, daß der Kaiser mit seiner Gemahlin von Laxenburg nach Lambach abgereist sei. Fert- bauer hat also ein Datum auf das Gemälde gesetzt, das alle zeitlichen Voraussetzungen erfüllt. Man könnte sogar die Wie- dergenesung des Kaisers als Anlaß für die Entstehung des Bildes annehmen, wäre er nicht in der Komposition der Gruppe fast nebensächlich behandelt. Die Porträts auf Fertbauers Bild mit den sonst bekannten Bild- nissen der dargestellten Personen verglichen, ergaben die nicht einmal so überraschende Feststellung, daß alle Köpfe nach (so- gar Jahre zurückliegenden) Vorlagen gemalt worden sein muß- ten; die Abhängigkeiten sind so stark, dal} allein aus diesem Grunde dem Maler ein Porträtieren nach der Natur abgespro- chen werden muß. Die Stellungen der Personen sind frei dazu- komponiert oder wieder anderen Vorlagen entnommen, außer bei Sophie, deren originelle Kopfwendung über die Schulter hinweg auf der Vorlage selbst (bei Stieler) zu finden ist und ein- fach kopiert wurde; doch ist Pertbauer hier immerhin in der Wahl der Kleidung eigene Wege gegangen. Für die einzelnen Personen lassen sich als Vorlagen z. B. nach- weisen: 1. Die Lithographie Kriehubers nach Johann linder, die das Kaiserpaar in der Hoftheaterloge zeigt, war in zwei Fassungen verbreitet (beide leider nicht datiert, Zensurblätter nicht fest- stellbar) und sicherlich auch Fertbauer bekannt; die Original- Aquarelle Enders von Kaiser und Kaiserin dürften ihm kaum zugänglich gewesen sein. Die Gesichtszüge des Kaisers gehen auf diese Lithographie zurück, seine Zivilkleidung ist genau übernommen. Fertbauer kann auch die Vorarbeiten seines Leh- rers Peter Krafft zu den drei Wandbildern für die Hofburg ge- kannt haben (Auftrag 10. April 1826!), worunter sich die „Erste Ausfahrt des Kaisers nach gefährlicher Krankheit" be- fand (vorweggenommen, da diese erst am 9. Mai stattfandl); hier stimmen die Porträts am Wagenfenster mit Enders Logen- bild so überein, daß man geneigt ist anzunehmen, eines diente als Vorlage für das andere. Das Bildnis der Kaiserin hier könnte auf einer (Josef Lanzedelli zuzuschreibenden) Lithographie be- ruhen, der cin bereits 1819 datierter Stahlstich von Blasius Höfel nach Josef Stieler sehr nahe kommt (bloß der Blick weni- ger stark zur Seite gerichtet). Fertbauer scheint also auf ein rela- tiv weit zurückliegendes Porträt gegriffen zu haben. 2. Auch für Maria Louise scheint eine Vorlage aus weit früherer Zeit. als ihrem Alter um 1826 zukäme, verwendet zu sein. Denn jenes Porträt von Kriehuber, das als lavierte Bleistift- skizze „Behufs einer Litographie nach der Natur S25 in Baden im allerh. Auftrag des Herrn Erzhcrzogs Carl gemalt" worden war (alte handschriftliche Notiz auf dem Blatt im Historischen Museum) bildet nämlich nicht die Vorlage. Vielleicht griff Fert- bauer in der Kopfhaltung auf eine Miniatur von Guerard zu- rück (danach Punktstich von F. Jügel), die Maria Louise als Kaiserin zeigt und demnach vor 1821 gemalt sein muß (wahr- scheinlich zur Zeit des Wiener Kongresses). Sie hat bei Fert- bauer freilich bereits etwas gealterte Gesichtszüge. Jügels Stich nach Lampi von 1810 zeigt Maria Louise wesentlich jünger als Guerard, aber weniger lieblich. 3. Wie seine Mutter sieht auch der Herzog von Reichstadt jünger aus als ihm für 1826 zukäme. Dieses kindliche Aus- sehen finden wir auf dem Punktstich von A. Ehrenreich ,der auf einer Zeichnung „nach der Natur" von Ph. Stubenrauch von 1819 beruht (in Uniforml). Der Zeit entsprechend wäre aber der Stich von J. Steinmüller nach J. linder (Zensurblatt vom 18