R. E. Karsch: „Der Blinde". Bild rechts oben: R. E. Karsch: „Kreuzigung". diesem Blatt wird in der rechten Ecke unten, während Vulkan- ausbrüche und Erdrisse Feuer und Rauch ausstoßend den Augen- blick der Menschheitsgeschichte begleiten, eine Gestalt schwach sichtbar, die, eine Faunsflöte blasend, unberührt von dem Ge- schehen bleibt. Das Barbarische aber, das in unserer Zeit wieder aufgebrochen ist und überall in Karsch' Bildern gepackt wird, erscheint einmal gleichsam in Person dargestellt: in der Gestalt eines Standbildes auf einem der Troja-Blätter. Da steht eine Me- tallfigur, die jahrtausende in der Erde gelegen hat, von der Zeit zernagt ist, aber doch durchaus mächtig, neben ihr der Schild, ebenso verätzt. Bevor Karseh zu der Art gefunden hat, in der er heute schafft und Symbole zeigt, die man mit der alten Worterklärung der „Zusammenwerfungen" ansprechen könnte, hat er eine natur- und, vor allem, menschengestaltnahe Darstellung bevorzugt, die wir hier auch mit einem Beispiel vorführen möchten: „Blind". Die Herkunft aus sozialkritischen Auseinandersetzungen ist ebenso evident wie die Aussage des Sinnlosen, hier in dem Vor- gang, daß der vom Hund geleitete Blinde zusammengeschossen wird. Dem Gegenständlichen ist Karsch bei allen einschneiden- den Wendungen treu geblieben. Er selbst würde diese Feststel- lung für gar nicht so vordringlich halten. S0 sagte er einmal: „Ich denke, daß die Gegenüberstellung von Gegenständlichcm und Nicht-Gegenständlichem weniger wichtig ist, als man an- nimmt. Entscheidender ist lwohl der Gegensatz Räumlich-Flächig! Der gegenständlich arbeitende Maler stellt genau so wie sein scheinbarer Widerpart Farbflecke, Flächen, Linien und so weiter abstrakt, optisch gegeneinander, er fügt Teile zu einem harmo- nischen Ganzen. konfrontiert Kontraste, so daß ein abstraktes Grundgerüst entsteht. Im Augenblick, wo diese Anordnungen in der Fläche nun räumlich gestaltet werden, bilden sich schon Gegenstände; man kann sie greifen, wenn auch vielleicht noch nicht immer begreifen, weil sie gerade nicht bekannte Dinge wie Bäume, Steine, Bauten darstellen, nicht dcutbar sind". Das vorangegangene Stadium des Schaffens, dem wir das Bei- spiel „Blind" entnommen haben, nur als eine Vorbereitung oder als einen Übergang zum heutigen mit der stärkeren Affinität zur (nachtseitigenl) Romantik anzusehen, wäre ungerecht. Es hat wie ein Kristall seine geschlossene und bleibende Form, und nicht nur einen Wert in einer „Entwicklung". Eine solche Wendung ist wie fast alles Wichtige im Leben nicht durch eine Ursache bestimmt worden, doch ließe sich vorstellen, daß einer der Gründe für die Wendung in dem Gefühl lag, sich von neuen Kräften in der Auseinandersetzung mit dem Leben und der Wirklichkeit ergreifen und tragen lassen zu müssen. Das ist künstlerpsychologisch durchaus real. Die Meisterschaft ist in beiden Arten überzeugend: Wie der Blinde „richtig" gezeichnet ist, wie er tatsächlich hart geht, ist treffend in der Gestalt, wie tiefstes Schwarz und hellstes Weiß einander begegnen, ist treffend in der Form - beides bildet im Gesamtwerk sicher einen Höhepunkt. Vielleicht lag nun in die- sem „Erreicht-haben" eben ein Anlaß, zu neuen Ufern vorzu- stoßen. Es gibt bei Künstlern ein auftretendes Gefühl des „Ge- nug", das sich für Veränderungen im Schaffen stärker auswirkt als die sogenannte Entwicklung. Schon die Motorik der Strich- führung des von der Radierung herkommenden Künstlers Karsch arbeitet nun anders und führt zu jenen meisterhaften Darstellungen, von denen wir mehrere wiedergegeben haben. Die Blätter sprechen, in dieser und in jener früheren Form, vom Argen in der Welt, vom Un-sinnigen. Die Erlebnisse, die diesen Bildern im wahrsten Sinne zugrunde liegen? Es ist ein unerhör- tes Betroffen-sein vom Bösen in der Welt, um so stärker als 20