Leide der Ober, deren Beruf es wurde, die Bekundungen seiner Existenz zu löschen. Jetzt verläßt er sein Atelier nicht vor Ein- bruch der Nacht, und ins Sacher geht er nur fallweise, einen Mokka zu trinken. Chaimowicz malt in Wien, und er ist ein österreichischer Maler. Wien ist in ihm, die Tradition der Klimt, Schiele, Kokoschka, deren Malerei immer neu aus der Graphik entsprang. Graphik, das war für die Klimt, Schiele, Kokoschka zuerst der weibliche Akt, das Geheimnis des menschlichen Körpers. Chaimowicz ist ein Erbe dieser Tradition, und ich kenne niemand von seiner Generation, der diese Tradition mit gleicher Konsequenz und Sensibilität weiterführt. Österreich, das ist aber nicht nur Wien, das ist auch Prag. Das alte Prag der Kafka, Werfel und Meyrink, mit Ghetto und Go- lem, in dem der Surrealismus zu Hause war, längst, ehe ihn Paris entdeckte. So tauchen auch in Chaimowicz lavierten Feder- zeichnungen und den Gouachen immer wieder quallige, nicht faßbare Monstren auf, präzise beschrieben und doch traum- haft. „So weit vordringen, daß die Malerei entweder kaputt ist oder gut. Darin sehe ich einen Weg", sagt er. Dies war auch der Weg Kafkas, der soweit ging, daß seine Prosa ihren Inhalt einfach nicht mehr aushielt. Gibt es eine andere Möglichkeit, den Punkt zu erreichen, von dem aus keine Umkehr mehr sein kann? Der Weg Kafkas: der Weg, auf dem Kunst nichts anderes mehr ist als Ausdruck der Existenz. Nichts von Boheme, nichts von Spiel, alles steht unter dem Gesetz. Ein Mann wie Chaimowicz, dessen Leben sich ausschließlich in Malerei umsetzt, unterliegt nicht dem Bliekdiktat seiner Zeit und fürchtet keine Tabus. Er strebt nicht danach, „up to date" zu sein, und er huldigt nicht dem „dernier cri"; wohl wissend, daß auch der raseheste Maler immer eine Zehntelsekunde zu spät kommt. Der Weg Chaimowicz" ist ein anderer. Indem er hinter alle Ismen unseres Jahrhunderts und der letzten Jahrzehnte des ver- gangenen Jahrhunderts zurückgeht, schafft er die Zeit über- haupt weg und gewinnt Raum. Das, was war, ist in ihm - warum nicht auch, was kommt? Georg W. Chaimowicz: ein neuer Name, ein neuer Maler. Georg Chaimowicz, Sitzende weibliche Figur, Paris 1958. Fcderzeich- nung, 63x48 cm. FRAGEN DER BILDNERISCHEN NACHWUCHSSCHULUNG Von j()l{(i LAM Pli Die bildnerischen Lehranstalten stehen heute, besonders wenn sie sich mit der Ausbildung von freien Malern und Graphikern befassen, nicht selten vor beträchtlichen, wenn auch kaum greif- haren Schwierigkeiten. Viele Studenten nämlich begegnen ihnen mit einer Art passiver Resistenz, die ihnen dann wiederum gerne als „FaulheiW oder gar als „destruktiver Nihilismus" aus- gelegt wird. Es soll keineswegs geleugnet werden, daß es eine solche Faul- heit und einen solchen Nihilismus gibt. Auch kommt es sicher vor, daß manche junge Leute einzig aus dem (Erunde, weil ihnen die Einspannung in eine normale Arbeit in Büro, Werkstatt und Fabrik nicht zusagt, eine Art Fluehtsprung in die „Kunst" ver- suchen, vorausgcsetzl, daß sie sich auf ein Mindestmaß an 1'11- lent berufen können. Schwebt diesen Menschen auch nicht mehr das Idol vom „lustigen Künstlcrvölkchen" und vom Glnnze der Boheme vor, so glauben und hoffen sie doch, als „Künstlcfßl sogenannte freiere Menschen sein zu können und zu dürfen. Das alles sei ohne weiteres zugegeben, wobei es allerdings noch 20