DIE MALERIN
jOlb-IANN MUSCIIIK
FlEGLHUBER-GUTSCHER
Mit dem Expressionismus trat die Kunst des 20. jahr-
hunderts recht eigentlich erst in Erscheinung. Die im-
pressionistische Strömung hatte den Gegenstand auf-
gelöst in Farbgeflimmer. Die Darstellung des Lichts war
ihr großes Anliegen gewesen. An Verfestigung, an Volu-
men und Bildordnung lag Cezanne. Der Symbolismus
wollte der Malerei wieder bedeutendere fnhalte geben.
Gewalttätiger als jede andere Richtung vor ihm d e f o r -
mierte der Expressionismus, um den Ausdruck
2 u s t e i g e r n.
Alles, was nach dem Expressionismus kam, hängt mit
ihm zusammen. Die Richtungen, die auf ihn folgten,
haben sich von ihm abgenabelt. waren zumindest keim-
haft in ihm schon enthalten, Das Phantastische, Freie,
die Souveränität, die der Künstler über den Gegenstand
gewann, und ohne die keine der folgenden Strömungen
möglich gewesen wäre, sind echtester Expressionismus.
Er war die letzte umfassende Richtung. Er hat geflucltt
und gebetet, verherrlicht, verdammt, den Himmel und
die Hölle und die Alltagswelt aufgesucht. Farbe wurde
zum Ausdrucksträger, bekam einen Eigenwert, den sie
nie vorher hatte. Grüne Himmel wurden möglich, blaue
Bäume, die radikale Vereinfachung und Verzerrung der
Form. Der Realismus des Details verlor an Bedeutung.
Das Vereinfachende der, wie wir heute sehen, vergleichs-
weise naturnahen expressionistischen Formensprache
und die gesteigerte Bedeutung der Farbe gehören auch
zu den Wesensmerkmalen des Werks von Marianne
Fieglhuber-Gutscher, das man daher mit Recht einer
insbesondere auch in Wien immer noch lebendigen Rich-
tung, nämlich der postexpressionistiscben zuzahlen wird.
Der Künstlerin geht es um Landschaft und Stilleben,
um Figur, die einzelne und die Figurcngruppe, um das
allegorische und religiöse Thema. Frühe Bilder wurden
aus einem Grau heraus modelliert. Ein Rosa, ein helles
Blau kamen hinzu. Später (seit 1944) haben es Marianne
Fieglhuber-Gutscher die starken Farben angetan. Ihre
Welt beginnt zu lodern, zu glühen. Das Schwermütige,
Sanfte weicht einer inbrünstigercn llaltung.
Schreckenerregende Dinge ereignen sich. Ein gelbes Ge-
sicht, vom Verfall gezeichnet, ein magerer gelber Arm,
der in einer roten Wolljacke steckt: ein gebrechlicher
Körper, von einer blauen Tuehent bedeckt, ringt mit
dem Tode. In der weiten, großen Felsenlandschaft eines
anderen Bildes tritt der Versucher auf. Der Gekreuzigte,
drittes Beispiel, erscheint, Furcht und Mitleid erregend,
im Fenster, vor dem eine Frau in gebeugter llaltung
sitzt. Ein ziegelrotes „l-laus" unter einem düsteren Him-
mel steht in einer vom Krieg zerstörten Landschaft. Das
brennende Rot im Hintergrund einer „Wienerwaldland-
schaft" wird mit Dunkelgrau, Grüngrau und Blau kon-
trastiert.
Aber auch Engel singen in den Bildern von Marianne
Ficglhuber-Gutscher, Kinder begegnen einander. Land-
schaft kann einen schmeiehlerischen, prickelnden Cha-
rakter annehmen. Der Adel des Grau wird wieder um-
worben. Farbigkeit geht dabei nicht verloren. [n allem
ist ein Streben nach Beständigkeit, nach dem Dauernden,
Ewigen spürbar.
20
1 Wienerwnldlandschaft, 1956.
2 Geschwister, 2. Fassung, 1957.
3 Küslenlnndschaft, 1958.
4 Das Haus (ehemalige Mautncr-Markhofschc Fabrik
in Wien-Erdberg), 1957.