ihren bescheidenen Kräften die neuen Ausdruckslormen
eines gesteigerten seelischen Emplindens. Andererseits
fließen niemals verloren gegangenes heimisches Gedan-
kengut, heimische Überlieferung und bodenständige Ge-
sinnung in unzähligen Bächlein in den breiten Strom des
durch die hohen Vorbilder der Meisterschaft erweckten
kulturellen Schallens. „Baroek" ist an sich ein interna-
tionaler, ein europäischer Lebensstil, aber jedes Volk und
jedes Land schafft sich die eigene Gestalt seiner Er-
scheinungsiorm.
Barock ist vor allem ein sinnliches und zugleich irratio-
nales Raumerlebnis eigener Art. Der Erweiterung und
Zusammenfassung des territorial-politischen Raumes
entspricht ein geistiges Raumerlebnis und eine weit-
gespannte Reaktionsfähigkeit des Gemütes. Die bildhafte
Darstellung dieses Raumerlebnisscs macht auch vor dem
Grenzenlosen und Zeitlosen nicht halt. Der Erdenraum
mit seinen Wundern, der Raum zeiterfüllter historischer
Erkenntnis, der Raum des mystisch-religiösen Erlebnisses
in Himmelsweiten, das alles fügt sich zusammen und
drängt eine hemmungslose Phantasie und ein anspruchs-
volles Gestaltungsvermögen zu beispielloser Schaffens-
lreude. Barock ist Pathos in sinnhalter und symbolischer
Gebärde. Wo die zeitgebundenen Erkenntnismittel ver-
sagen, tritt die sinnvolle Allegorie an ihre Stelle. In hi-
storischer Verkleidung programmatischer Allegorie und
Anspielung soll der tiefere Sinn der Gegenwart gedeutet
werden. Ein überschwcngliches Gefühl durchströmt die
geformte künstlerische Gestalt. Das Ungewöhnliche und
Großartige will sich dem staunenden Auge offenbaren,
der Glanz irdischer Herrschaft und himmlischer Glorie,
der Wissenschaften und Künste. Theatralisch und auf
Eindruck berechnet ist das prunkhafte Zeremoniell im
weltlichen und geistlichen Bereich und fürstliches und
kirchliches Bauen schaffen Raum und Rahmen für die
Entfaltung eines sinnhaften Schauspieles. Die Macht und
Kraft des Symbolischen durchbricht die rationalen Gren-
zen strenger Gesetzmäßigkeit, die Phantasie triumphiert
über die Logik.
Barock bedeutet Ehrfurcht und Bewunderung für das,
was man als groß empfindet. Der mächtige Fürst, der
erfolgreiche Stratege, der ekstatische wundertätige Hei-
lige, heroische Leistung, heroisches Opfer und Leiden, in
zahllosen Varianten wird das alles zur Anschauung ge-
bracht, soll entzünden, hinreißen und zur Nachahmung
bewegen. Barock will das Leben, das Leben in dieser
Welt, das Leben nach dem Tode in himmlischer Gloric
oder auch in irdischem ewigem Gedächtnis. Er will auch
das Leben der Vergangenheit, der Tradition, der Ge-
schichte. Es ist ein eminent geschichtliches Zeitalter;
denn die Größe leitet sich ab aus der Geschichte, die
Größe des Vaterlandes und die Größe des eigenen Ge-
schlechtes. Die Großriiumigkeit barocker Lebensschau
erstreckt sich also auch über den zeitlichen Raum in die
Vergangenheit und Zukunft.
Man versteht die Spannungen, die sich aus einem der-
artig vielfältigen Komplex der Lebensform und des Le-
bensinhaltes ergeben müssen, die Spannung zwischen
Weltsinn und Weltüberwindung, die Spannung zwischen
Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Herrentum und
Dienst, zwischen reich und arm, vor allem aber die er-
regende Spannung zwischen Schein und Wahrheit, Diese
Zeit ist erfüllt von solchen Gegensätzen und daraus ent-
springender Erregung, sie ist zu großer Begeisterung
fähig. Der innige Augenaufschlag zum Himmel, die in
Inbrunst über der Brust verschlungenen Hände, die wie
von einem inneren Geisteswehen bewegten Gewänder,
sie gehören ebenso zu dem Wesen der Zeitidee wie der
gebietende Held auf sprungbereitem Roß und die Wallen-
den Togen der Majestät, die funkelnden Ketten und
blitzenden Juwelen, aber auch wie der phantastische
Reichtum an leuchtenden Farben und theatralischen
malerischen Konzeptionen.
Imperium und Sacerdotium, Herrschaft und Priestertum,
Reich und Kirche, das sind die universalen Themen in
Geschichte und Gegenwart. Was geschaffen wird, soll
nicht allein dem augenblicklichen Bedürfnis lebender
Geschlechter dienen, sondern zugleich Denkmal für die
ferne Zukunft sein: „Denn dieses ist die einzige und
höchste Ursache der vornehmen und stattlichen Gebäu -
der unsterbliche Name und Ruhm und ewige Gedächtnus,
so von dem Structore hinterlassen wird." So hat diesen
Geist einer der großen Bauherrn des Barock, Fürst Karl
Eusebius Liechtenstein in seinem „Werk von der Archi-
tektur" schon im 17. Jahrhundert gekennzeichnet.
Barock sieht das Leben als ein Schauspiel, die Welt als
eine Bühne, auf der sich in einer unerhört reichen und
mannigfachen Szenerie das Spiel des großen und kleinen
Daseins in spannender Formenfülle abwickelt. Der
Mensch möchte alles handgreiflich sehen und versinnbild-
lichen, die abstraktesten Gedanken, das gläubige Schauen,
den moralischen Begriff, den ewigen Wettkampf der Gei-
ster, die große umfassendc universale Idee. Der Kampf
des Lichtes mit der Finsternis, der Tugend mit dem La-