DAS BILDNIS MARGARET STONBOROUGH- WITTGENSTEIN VON GUSTAV KLIMT jOHANNES DOBAI Die Beschäftigung mit dem Jugendstil hat in den letzten Jahren zu einer höheren Wertung dieses Stilphänomens und damit auch der Malerei Gustav Klimts geführt. Das hat sich auch in Besitzänderungen geltend gemacht. In den Vereinigten Staaten kamen erst kürzlich vier Ge- mälde in öffentliche Sammlungen, und das Bildnis Mar- garet Slonborough-Wittgensteinl, das als Leihgabe für län- gere Zeit in der Österreichischen Galerie in NVien und in der Neuen Galerie in Linz zu sehen war, gelangt nun aus Familienbesitz in die Neue Pinakothek in München. Die Münchener Sammlung erfüllt damit den langgehegten Wunsch, ein repräsentatives Stück aus Klimts Reife-zeit zu besitzen. Der Künstler hat das Bild im Laufe des jah- res 1905 geschaffen. Ein glücklicher Zufall unterrichtet uns über gewisse Mo- mente der lange dauernden Arbeit, was umsomehr er- wähnenswert ist, als Briefe von Klimt eine Seltenheit darstellen, da er -- wie er selbst sagt - unter „einer krankhaften Schreibscheu" gelitten hat. ln diesem Falle sind jedoch drei Briefe des Malers erhalten und werden hier als Anhang zum erstenmal veröffentlicht. Ihre Da- tierung kann leider nur indirekt erfolgen. jedenfalls kann man daraus entnehmen, daß Klimt den Auftrag von Frau Lcopoldine Wittgenstein, ihre Tochter zu malen, wohl Anfang des Jahres 1905 erhielt. Doch be- gann er, auf Grund von Brief I erst nach Mitte März zu arbeiten. Wahrscheinlich in diesem Monat entstanden die erhalten gebliebenen fünf Studien, die uns später noch beschäftigen sollen. Aus Brief Il (an Karl Wittgenstein, den Vater der Dargestellten) geht hervor, daß Klimt; seinem überaus großen künstlerischen Gewissen gemäß mit der Arbeit (wohl im Sommer) noch nicht zufrieden war, und daß er deshalb die angedeutete, für die dama- lige Zeit beträchtliche Summe von S000 Gulden noch nicht ausbezahlt haben wollte. Sehr aufschlußreich ist der Ton dieser bisher einzig bekanntgewordenen Briefe Klimts an einen hochgestellten bürgerlichen Auftrag- geber, an einen seiner Auftraggeber par excellence. Wie es zu erwarten war, ist dieser Ton sehr elegant und ge- pflegt, doch bei aller Höflichkeit von souveräner Selbst- sicherheit. - Anscheinend lag es Klimt am Herzen, das Bild als Porträt „gut" zu gestalten, so daß kaum ange-t nommen werden kann, die oft bemerkte Diskrepanz zwi- schen ornarnental beladenem Flächenstil in der Figur und im Hintergrund einerseits, und dem „Naturalismus" der Köpfe anderseits sei auf eine gewisse Unfreiheit, das heißt auf den Wunsch der Besteller zurückzuführen. Ab- gesehen davon, oh eventuell solche Wünsche bestanden (leider kennen wir die an Klimt gerichteten Briefe nicht), so ist in dieser Diskrepanz doch vielmehr eine tief im Wesen der Klimtschen Kunst verankerte Eigenschaft zu erblicken- Der nach dem 1. Juli 1905 geschriebene? Brief III zeigt, daß Klimt das seiner Ansicht nach „un- fertige" Bild dennoch auf die Herbst-Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Berlin schicken wollte, wie er auch früher schon Gemälde in der Secession ausge-