Entwicklungsprozeß relativ rasch vor sich gegangen ist, mag nicht zuletzt darin seine Ursache haben, daß die Werkstätten, mit praehtliebenden Fürsten und Edelleuten als Auftraggebern. Entwicklungsmöglichkeiten fanden, wie sie es bis dahin nicht gegeben hatte. Die Stärke der keltischen Kunst liegt daher auch auf den verschieden- sten Zweigen des Kunstgewerbes. In der Verarbeitung von Eisen - die Kelten waren in der Antike als treff- liche Schmiede bekannt und geschätzt -, Bronze, Edel- metall und manch anderem Material wurden technische und künstlerische Hochleistungen erreicht, die unsere uneingeschränkte Bewunderung verdienen. Architektur und Großplastik kamen nur dann zu einiger Entfaltung, wenn eine unmittelbare Berührung mit griechischer und später mit römischer Kunst bestand, vor allem in Süd- frankreich, wo man auf ehemals keltisch-ligurischem Ge- biet Heiligtümer mit Bauwerken und Skulpturen aus Stein entdeckt hat. 1m Latenestil zeigt sich ein starkes Anpassungsvermögen und eine geradezu unbegrenzte Fähigkeit, fremde Ele- mente aufzunehmen, in höchst eigenwilliger Weise um- zudeuten, umzugestaltcn und in neue Formen umzu- schmelzen. Die keltische Kunst ist daher nicht epigonen- haft, sondern von Anfang an zu Eigenleistungen von erstaunlicher Gestaltungskraft befähigt. Was man ehe- mals als Verballhornung, Verzerrung oder Barbarisie- rung klassischer Kunst interpretiert hatte, wertet man heute als den Ausdruck einer den Volkscharakter der Kelten bestimmenden schicksalhaften Dynamik, die sich, oft bis zur Hemmungslosigkeit gesteigert, auch in an- deren geistigen und seelischen Bezirken, in Kampfweise und politischem Verhalten auslebte. Die keltische Kunst machte nach P. jacohsthal beim Übergang von der llallstatt- zur Latenezeit eine Ent- wicklung durch wie dic griechische vom geometrischen zum orientalisicrenden Stil. Die Übereinstimmungen lie- gen aber nicht im inhaltlichen, sondern in der künst- lerischen Haltung. Hier wie dort gaben Formen benach- barter Hochkulturen den Anstoß zur Bildung eines neuen Stils. Auf den am Beginn stehenden und bis etwa 350 v. Chr. reichenden Frühlatenestil folgte als Höhepunkt keltischer Kunstentfaltung der „reife", nach einem pro- minenten Fund auch „Waldalgesheimef genannte Stil, den K. Schefold in eine der griechischen Hochklassik analoge „strenge Phase" und eine phaseologisch dem schlichten Stil der griechischen Kunst des zweiten Vier- tels des 4. Jahrhunderts v. Chr. entsprechende „Kon- traststuie" unterteilt. ln dem durch freies Rankenspiel charakterisierten „Plastischen Stil", der Endphase der keltischen Kunst, sieht K. Schefold eine Analogie zum Hellenismus. Mit dem Überwiegen fabriksmäßiger Mas- senerzeugung - in den Großsiedlungen (oppida) hatten Schmiede, Bronzegießer, Glaserzeuger und andere Hand- werker und Gewerbetreibende ihre Werkstätten und Lä- den in eigenen Bezirken - verlor sich schließlich das keltische Kunsthandwerk am Ende der Latenezeit in aus- drucksloser Eben- und Gleichmäßigkeit (F. Eppel). Die aus der griechischen Kunst, von der Klassik bis zum orientalisierenden Stil und mit diesem, teilweise viel- leicht auch unmittelbar aus östlichen Kunstkreisen, der Kunst der Skythen und Perser, übernommenen Motive werden in ihre Bestandteile zerlegt, umgedeutet und in phantasievoller und phantastischer Weise in die be- herrschte Formcnsprache einer spannungsreichen Orna- mentik mit raumfüllender Tendenz übersetzt, in der ein pflanzlicher Rankenstil griechiseh-etruskischer Herkunft dominiert. Solche Motive sind Palmetten, Palmetten- und Perlenreihen, Knospen und Blüten, Rosetten, inter- mittierende und fortlaufende Spiralreihen, Spiral- und Dreiwirbel und viele andere Zierelemcnte, die einen geradezu unerschöpflichen Motivenschatz ergeben, dem die keltische Kunst ihre Anregungen entnimmt. Das Er- gebnis sind Ranken, Schwellranken und andere blasig geblähte Ornamente, wie das typisch keltische Fisch- blascnmotiv, zu Masken erstarrte oder fratzenhaft ent- stellte Menschenköpfe, häufig mit starker Betonung der Augen und aufgesetzten Tierohren, Verbindungen und Verschränkungen von Details des menschlichen und tie- rischen Körpers, nicht selten mit Übertreibung von Ein- zelheiten, z. B. an Maskenfibeln und Henkelattachen von Sehnabelkannen, alles in den verschiedensten Abwand- lungen und Kombinationen, Waffen, Gerät, Schmuck und Münzprägung bieten dem Kunstschaffenden ein reiches Betätigungsfeld. Die beliebte Steigerung der Wirkung von blankem Eisen, glänzender Bronze und Edelmetall - Gold, Silber und Elektrum (Gold-Silberlegierung). durch Auf- und Einlagen aus Email, llarz, Bernstein und Korallen - verraten einen starken Sinn für das Far- bige, der sich auch beim Glasschmuck zeigt, Perlen von oft bizarren Formen und Armreife aus weißem, gelbem, rütliehem und blauem Glas, häufig mit aufgelegten Fä- den in anderen Farben verziert. Eigenschöpfungen kel- tischer Handwerkskunst und keltischen Kunsthandwerks sind u. a. Röhrenkannen und Fcldflasehen aus Bronze und zahlreiche Schmuckformen wie Arm- und Halsreife mit kerbsehnittartiger Verzierung und Puffcrenden, die Nußarmringe, eine aus schalenförmigen Hohlbuekeln zu- sammengesetzte, übcrsteigerte Form, glatte und verzierte Fingerringe aus Gold und Elektrum; Fibeln (Gewand- spangen) in einer langen Entwicklungsreihe, deren ein- zelne Phasen sieh als besonders brauchbar für die relative Chronologie der Latenezeit erwiesen haben; Gürtelhaken in filigranartiger Durchbruehsarheit und Gürtelketten, deren Endhaken zu Vogelköpfen gestaltet sind; Helme. darunter die typischen Spitzhelme der lirühlatenezeit; verzierte Lanzenspitzen und lange Hiebschwerter mit ornamentierter Scheide aus Bronze oder Eisen. Mit ihren kräftigen kurvigen Profilen und ihrem sparsamen Dekar entspricht auch die keltische Keramik auf der Höhe ihrer Entwicklung den liormtendenzen des Latenestiles. Es verrät daher auch die Tonware der Frühlatenezeit einen ausgeprägten Formsinn: Fußvasen, Linsenflaschen und sonstige flaschenartige Gefäße mit geblähtem Körper, wohlfeile Nachahmungen von Metallgefäßen wie Feld- flasehen, Schnitbel- und Röhrenkannen, scharfprofilierte Schüsseln und Schalen, häufig mit Bodendelle (Ompha- los), alle diese Gefäßformen in zahllosen Varianten, die 1 Kopfplastik keltischer Art aus Untcrsberger Marmor von der Festung Hohensalzburg. 2 Bronzefibel mit Koralleneinlnge vom Dürrnherg.