wisser Hinsicht schon vorwegnah- men, wie etwa das „Weiherhäus- ehen". Diese Aquarelle „sind aus einem neu erwachenden Blick in die Welt entstanden und durch die Frische dieses Blicks auch farbig oft so herrlich geraten, wie nur selten ein Tafelbild Dürers". Um jene Einheit zu sehen, die wir Landschaft nennen, war eine ganz eigene innere Einstellung und See- lenhaltung notwendig. die Befrei- ung vom Gebundenscin im sch0la- stisch-mittelalterlichcn Denken. Die Malerei läßt uns hier an einem ganz einzigartigen, die Grundlagen der neuzeitlichen Welt schaffenden Prozeß teilnehmen, den sie wie nichts sonst in seinem kla- ren Ablauf manifestiert. Mit dem Beginn der Landschaftsmalerei ist das Eindringen in die Vorstellung des zum erstenrnal von Nikolaus von Kues erfaßten Begriffs vom Un- endlichen verbunden, sie setzt das Bcwußtsein des Persönlichen, des Ich voraus und läßt die erste indi- viduell-subjektive Wcllsichl 7u. Siv eherlich ist es nicht der 1x nstler allein oder an erster Stelle, der in neue Regionen des Denkens und Sehens vorstößt; zum großen Teil ist er aber derjenige, der die Um- Schichtung der neuen Geisteshal- tung aufzeigt, beweist. Seine Bilder aber brachten den Stein erst ins Rollen, machten die vollzogene Um- schichtung einem breiteren Kreis klar, lehrte den bildhetrachtenden Menschen, so zu sehen, wie er: Mo- dern und selbst dem kleinsten Ding gegenüber aufgeschlossen. Durch ihn drang das neue Seinsbewußtsein in breitere Schichten ein - und so ist es die Jahrhunderte hindurch ge- hliehen, ist es noch heute. Ver- wickelte geistige Zusammenhänge manifestieren sich in so einem Bild, einer Epoche der Malerei oft klarer, als in dickleibigen, zähen Abhand- lungen. Daß die Begegnung mit der Land- schaft ein Abenteuer war, ähnlich dem der Entdeckung eincs neuen Kontinents, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Aber man sieht auf den ersten Bildern (in Alt- dorfers hl. Georg z. B.), wie verlo- ren sich der Mensch noch in der Landschaft vorkommt, wieviel Mut der Erkundungsgang in eine offene Endlichkeit erfordert. Es sind kleine Gestalten, die sich in der Weite und Tiefe des Landes fast verlieren. Das Gebirge, das eigentlich erst viel später entdeckt wird, gilt ihnen als von Dämonen und Ungeheuern be- wohnt, das erste Eindringen in un- bekannte und unerforschte Regio- nen erforderte einen Wissensdrang, der die heimliche Angst überbot. „Landschaften schildern bei Wind und Regen und beim Untergang und Aufgang der Sonne" (Leonardo da, Vinci) - „das zeugt von einem un- gchcuren Drang, in der Natur auf- zugeben, die eigene Person in ihren Ablauf hineinzustellen." Die Entwicklung des neuen Se- hens und Begreifens schreitet rasch und sich stets wandelnd vorwärts. Freilich ist damit auch ein Verlust an Weltgehalt und Weltganzheit verbunden, wie er hochmittelalter- liehen Altarbildern noch eigen war. Ein Teilstück wird herausgegrif- fen, das bevorzugte Format des von naturwissenschaftlichen, phy- sikalischen Gesetzen beherrschten 17. Jahrhunderts ist das quergela- gertc. Es entstehen nun Wald-, Berg-, Flach-, Fluß- und Strand- landsehaftcn. Aber noch wirken alle Bilder wie gestellt, das Naturchaos bleibt noch einem bildnerischen Prinzip, der Komposition, unterwor- fen. Erst im 19. Jahrhundert findet das Zufällige in der Natur Eingang ins Bild. Den Endpunkt dieser Ent- wicklung fixiert dann die um 1840 erfundene Photographie, das denk- bar präziseste und genaueste Bild eines Naturaussehnitts wird mög- lich. Damit ist die Landschaftsmale- rei, ist die der sichtbaren Wirklich- keit nachjagende, kopierende, ab- bildcnde Malerei aber auch schon ad absurdum geführt, wenn es auch noch einer verhältnismäßig langen Entwicklung bedarf, bis man auf die Natur als das Gefäß, aus dem man ständig schöpfen kann, zwar nie ganz verzichten lernt, aber zu neuen Weltlandschaften, Ganzhei- ten vor-stößt und damit in gewisser Weise an den Geist anknüpft, der das exemplumhafte, mittelalterliche Bild beherrschte. Wir sind der Entwicklung voraus- geeilt. Im 15. und 16. Jahrhundert kann von einer direkten Auseinan- dersetzung mit der Natur noch nicht gesprochen werden. Immerhin erleben wir bei Pieter Brueghel d. Ä. ein endgültiges und der allgemei- nen Entwicklung schon voraus- eilendes Erhöhen der Landschafts- malerei zur vollwertigen, selbstän- digen Bildgattung, und ihre volle Entfaltung in den von Naturein- drücken herkommenden Monatsbil- dern, Welt- und Mischlandschaften, deren literarischer Inhalt noch deutlich ist. Während auch das 17. Jahrhundert nur im Atelier ge- malte Landschaften kennt, drängt die Entwicklung erst im 18. Jahr- ß Zwei Landschaflsmalcr. Lithographie von Honore Daumicr. 7 Am Übergang zur modernen All- Landschaft „Ziehende Wolken", ein nach 1811 entstandenes Gemälde von Cnspar David Friedrich. Hamburg, Kunsthalle.