Die Kapfenberger Kulturmge 1961 hatten sich vorgenommen, „das Er- lebnis der Technik in der Modernen Kunst" zu diskutieren. Der Beitrag der Bildenden Kunst zu diesem stark strapazierten, aber kaum ernsthaft behandeltem Thema war ein Symposion von Stahlplastikern, zu dem die Firma Gebr. Böhlerß: Co. AG. neun österreichische oder in Österreich ansässige junge Bild- hauer in ihr in Kaplenberg gelege- nes Edelstahlwerk eingeladen hatte. Das Ergebnis dieser vom H). April bis 11. Mai dauernden Zusammen- arbeit von Künstlern und Stahlwer- kern - die ein erstmaliges Experi- ment in der modernen Kunstge- schichte darstellt _ war nicht nur eine sehr geschlossene und eigen- tümliche Ausstellung, sondern eröff- nete eine Reihe doch recht grundle- gender Überlegungen und Erfah- rungen. Eisen und Stahl sind erst seit we- nigen Jahrzehnten wieder ein künstlerisches Medium. Vom Mit- telalter bis zum Rokoko kennen wir eine berühmte, handwerklich be- stimmte, mehr dekorativ ausgerich- tete Schmiede- und Eisengußkunst. Die beginnende Industrialisierung lieferte einen Spiilling in Gestalt der medaillonartigen Gußplatten nach. Dann erlosch die Beziehung des Plastikers zu diesem Werkstoff, die ja nie sehr innig gewesen war, gänzlich. Holz, Stein, Bronze und Ton blieben seine Materialien, für Übungen und Experimente bot sich neben dem Wachs in steigendem Maße der Gips an. Erst in den Dreißigerjahren unseres Jahrhunderts kam hier die Wand- lung. Verschiedene Gründe mochten zusammengewirkt haben - noch fehlt uns die Übersicht über diese eruptive Erscheinung der Eisen- und Stahlplastik: der immer ana- turalistischer werdende Charakter der modernen Kunst, die Erarbei- tung einer Zeichen- und Chiffre- spraehe, die Übernahme technisier- ter Formen und Materialien, die Manifestation des technisch Schö- nen, das gleichberechtigt neben dem Natursehönen und dem Kunstschö- nen dastand. schließlich die Er- kenntnis vom strukturellen Eigen- leben der Materie sind nur einige der maßgebenden Erscheinungen. Dazu kamen persönliche Bindungen: die „spanische Welle" in der moder- nen Kunst veranlaßte im Freundes- kreis von Picasso einige Schmiede, sich ihrer Handwerkskünste zu er- innern, der russische Beitrag der Konstruktivisten brachte die Vor- liebe für Drähte und Drahtzüge, die DAS KAPFENBERGER SYMPOSION lndushielle Slahlplasiilx Amerikaner sind die Meister des Schweißens. unter den jungen Eng- ländern wurde der Eisenbeton kunst-- fähig, die Italiener bevorzugen fah- nenartig aufgetürmte Bleche oder immense chaotische Gußformen, wenn auch die Internationalisierung der Kunst diese Ansätze sofort zum Allgemeingut werden ließ. In der merkwürdigen Situation, in der sich der Plastiker heute befin- det, nämlich einer ungegenständli- chen, dcnaturierten Kunstsprache plastische Gestalt geben zu müssen, greift er also anscheinend gern zu dem schwierigsten und sprödesten Werkstoff, zum Stahl. Die Formen- skala dieses Materials ist erstaun- lich reich geworden: vom Leichten und Schwehenden über Konstruk- tion, Symbolismus, Archaisch- Blockhnftes, Chaotisches bis zur col- lagearligen oder malerischen Dop- peldeutigkeit. Dennoch ist der Stahl bei aller künstlerischen Bearbeitung seinem ursprünglichen Charakter treu geblieben: immer haftet ihm ein Zug von Sprödigkeit, Härte, Schärfe, Ehrlichkeit, einfacher Ele- ganz an, nie gibt er sich lukullisch. In Österreich war die plastische Ar- beit in Eisen und Stahl bisher unpo- pulär; ihr Pionier wurde in den letz- ten Jahren Rudolf Hoflehner. Vor allem aber verlangt sie einen be- achtlichen Aufwand an Ausrüstung und Material, den sich die jüngeren Künstler meist nicht leisten können. Ein Symposien in Stahl- der Gedan- ke, Bildhauer-Symposien zu veran- stalten, ist ein recht österreichischer - unter d_er Mitwirkung und in den Werkstätten einer einschlägigen Firma durchzuführen, war also sehr naheliegend. Allerdings erwies sich diese Verquickung von Industrie und Kunst als interessanter, aber auch schwieriger als gedacht. Denn wenn in St. Margarethen die Bildhauer im weiten Halbrund des Steinbruches, sozusagen in Rufnähe, arbeiten, so verteilten sie sich hier auf die kilo- meterweit auseinanderliegenden Be- triebe der Böhlerwerke und verloren sich unter den 7.500 Arbeitern. Hat- te sie aber, nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten, die Ma- schinerie dcs großen Werkes erfaßt, so entkamen sie kaum mehr dem industriellen Arbeitsrhythmus. Auch die Arbeit der Betriebe und das ULRICH BAUMGARTNIER liachkönnen der Arbeiter färbte ab. All das bewirkte, daß aus dem ge- mütlich gedachten experimentellen Symposien eine kürzere, intensivere Arbeit wurde, die sich auch formal anzeigte. Die präfabriziertcn Werk- stücke lockten zur Bearbeitung, die Schrottplatzromantik, die in der Großstadt so erfolgreich ist, konnte in einem Stahlwerk nicht bestehen, die Konzeptionen wurden sachli- cher, konstruktiver, eben industrieller. So verständlich diese Reaktion der Plastiker war, so überraschend und doch folgerichtig war das Echo ihrer neuen Arbeitskollegen, der Be- triebsleiter und Facharbeiter. Sie halfen mit überaus großer Kol- legialität und Bereitwilligkeit, doch sie konnten sich innerlich auf die Problematik der Künstler doch nicht recht einstellen. Eine Kunst, die industrielle Werkformen über- nimmt, wie sie täglich in den llal- len selbst erarbeitet werden, und sie nun nicht nach technischen, son- dem ästhetischen Funktionen zu- sammenbaut, erschien ihnen zu we- nig. Kunst ist, das erwies sich mit aller Deutlichkeit, für die in der objektiven Welt der Industrie arbei- tenden Wissenschaftler, Techniker und Arbeiter das Element, das ihnen im Alltag fehlt; ist Repräsentation und Dekoration. Und darauf haben sie durchaus Anspruch: keine Zeit hat so wenig Wert auf diese doch sehr ursprünglichen- ästhetischen Kategorien gelegt wie die unsrige. Dennoch, bei der Zusammenstellung der fertigen Arbeiten kann man sa- gen, daß dieser erste Schritt ins in- dustrielle Vorland wichtig und auch ertragreich war: die graphisch be- wegte Arbeit des japancrs jos- hikuna Iida, die handwerklich so in- tcnsive und formal beeindruckende Figur Franz Katzgrabers, die kon- struktiven Türme Peter Perz, die drohenden Erscheinungen Rudolf Kedels, die rhythmisierten Lamel- lenbündel Josef Schagerls, die mehrdeutige (und mehrfarbige) Konstruktion Franz Reglers, die meditative Edelstahlsäule Karl Prantls und das problematische Mo- hile Marc Adrians sind, neben einer Reihe kleinerer Arbeiten, das Er- gebnis des Kapfenberger Versuches, der hoffentlich seine Fortsetzung finden wird. 29