FRIEDRIC] ACH TNER zipien auf alle Bereiche des Lebens führt. So würde, zum Beispiel, die totale Organisation des Lebens nach mechanistischen Gesichtspunkten (Wohnmaschine) wie- der unweigerlich in eine neue (historisch gesehen: nur andere) dekorative Bauperiode hineinführen, da viele Gegenstände nach ihnen fremden Gesetzen gebildet wür- den. Die heutige Inflation modernistischen Bauens il- lustriert teilweise dieses Mißverständnis. Somit entstand um 1930 in Wien folgende paradoxe Si- tuation: Die Pioniere der neuen Architektur, für die nicht erst der Weltkrieg Vorwand genug zu einem neuen Anfang war, sondern eher eine unsinnige Unterbrechung ihrer Arbeit, konnten nun auch den „neuen" Menschen nicht ohne seinen historischen llintergrund betrachten. Für sie bedeutete Kultur noch die ausgewogene Ordnung aller Kräfte, wodurch sie in einen unauswcichbaren Kon- flikt mit den radikalen, einseitigen und kurzlebigen Pro- grammen kamen. Vielleicht unterlief ihnen dabei der Fehler, daß sie das Geschriebene mehr als das Gebaute bewerteten. Die Auseinandersetzungen gehen auch, wc- nigstens oberflächlich betrachtet, vielmehr aus den Schriften hervor, als aus den gleichzeitig entstehenden Bauwerken. Josef Frank schreibt in seinem gescheiten und äußerst kritischen Buch „Architektur als Symbol" (bei Anton Sehroll, 1931): "Die mechanisierte Kultur hat sich durchgesetzt und die Welt erobert... Und wir anerkennen den Fortschritt, Wir haben ihm zuerst die Straße überantwortet. Tele- phonisolatoren und Straßenbahnen machen jeden Ver- such einer alten Architektur lächerlich. Wer die Wir- kungen versöhnen will, belügt sich; Glühlampe und Wasserleitung sind im llaus unentbehrlich. Aber der Kunstgewerbler wird herangeholt und soll das alles bil- den. Wozu? Diese organisch entstandenen Formen wie- der den imitierten angleichen? Oder bereits Bestehendes, das seit langer Zeit vollkommen ist. diesen neuen F0r-_ men angleichen? Der Wahn von der Gleichheit der Form, der unendlichen Garnitur. die Grundlage veralteten Kunstgewerbes als geschlossenes System ist noch immer derselbe, und er kann nicht begreifen, wie vielformiger unser Leben geworden ist, wie sich ihm alles Bestehende einfügen muß; unsere Zeit ist die ganze bekannte histo- rische Zeit. Dieser Gedanke allein kann die Grundlage moderner Baukunst sein. Zweck, Funktion, Preis und all die Notwendigkeiten sind nicht mehr als das verwen- dete Material, Bedingungen, die aber auch, wenn sie. noch so gut verwendet und erfüllt worden sind, mit Ar- chitektur nichts zu tun haben, Rohstoffe in der Hand des Künstlers, der sie formt. Aber der Geist ist alles." Vielleicht hat der Versuch, in der Bildung der neuen Behausung des Menschen nicht den Blick auf alle Zu- sammenhänge zu verlieren, den Schwung der Entwick- lung in Wien gehemmt. Tatsächlich sind auch von Loos, Frank und Strnad nur mehr „kleinere" Aufgaben (Woh- nungen, Wohnhäuser und wenige Gemeindebauten - der einzige von Loos wurde sogar abgelehnt) durchgeführt worden, jedoch mit einer Kultur und Lebendigkeit, mit einer Wärme und Souveränität über alle doktrinären Forderungen des „modernen Wohnens", daß mit ihnen der ganz spezifische Begriff der neuen „Wiener Wohn- kultur" entstand. Das frühe Schaffen Ernst Plischkes (geb. 1903) steht unter dem Einfluß dieser Meister. 1926 aus der Schule Peter Behrens kommend, arbeitet er im Atelier von Frank und befaßt sich zunächst mit dem Einrichten von Wohnungen. 1929 geht er nach Amerika zu E. Kahn, einem Spezialbüro für Hochhausbauten. Nach Österreich zurückgekehrt, will er seine Erfahrungen verwenden. Es ist ihm der formale Radikalismus seiner Generation eigen, der aber in Wien von beiden Seiten hoffnungslos isoliert erscheint. Mit dem „liaus am Attersee", das durch glückliche Umstände entsteht, erregt er großes Aufsehen. (Abb. 1 und 2.) 1930 bis 1931 baut er das Arbeitsamt Liesing, vielleicht das einzige Bauwerk in Österreich, das in seiner Haltung dem programmatischen Geschehen im Ausland zur Seite gestellt werden kann. (Abb. 3 und 4.) Bis 1934 folgen die Arbeitsämter Gmünd, Amstetten und ein Haus im Wienerwald. 1935 erhält Plischke den „Großen Österreichischen Staatspreis", je- 90