NOTIZEN AUS 1 DEM KUNSTLEBEN Henry Zll00re: Wechselspiel von Schale und Kent Zur Ausstellung der Österreichischen Kulturvercinigung in der Akademie der bildenden Künste, Wien. liines der interessantesten Werke dieser Ausstellung ist eine „Liegende Figur" (Außcniorm). Bronze, 193i. Dieses Ge- bilde wirkt von der Rückseite, trotz des Materials wie ein kaum geglieder- tcr erratischcr Block. Die Schauscitc hingegen offenbart eine Folge von Höhlungen, die miteinander kommuni- zieren: das scheinbar Massive, Ungefüge erweist sich also als von inneren Kraf- tcn geformt und organisiert bis ins Letzte. Werden diese Höhlungen nun wiC etwa in der „Licgendcn Figur (in- nt-re und äußere Formen)" mit einem Gefüge Slißlßllhälflßll Charakters ver- sehen, so ist Moorc's bildhauerisches Crcdo vollends ollenhar: es gibt kein Attßen ohne ein Innen, keine Schale ohne Kern, keine gestaltete Masse ohne sie gestaltende Energie. Das wechsel- weise Zusammenwirken beider Elemente ist das Wesentlichste im Schaffen dieses nicht nur größten, sondern auch einzig echten englischen Bildhauers, wenigstens was das Formale anbelangt. Hinsichtlich des Inhaltes wurde erst unlängst (Siehe unsere Buchbesprechung, in Helt 50, p. 33, Ncumann, Die archetypischc Welt Henry MoorCs) nachgewiesen, daß Moore im- m " nd immer wieder die „Große Mut- tc n all ihren Aspekten darstellt, bald in urtümlichcr Vcrhaltcnheit, dann wic- der als Herrin der Höhlen und Luft- schutzkeller (die „shelter drawings" als eine Art von universcllcm Utcrus) oder als „böse Mutter" von raubvogelhaftem Charakter, die von ihrem Kinde ange- griffen und bedroht wird. Von greller Bedeutung bei Moore sind die „Hclmplastikrn", eine Abwandlungs- iorm der Schale-Kern-Idec; der aus der Schale ausgelöste Skelett-Kern türmt sich in vielen Fällen zu meterhohen (icrüst-Gcbilden auf, die mit ihren Ten- takeln in den Äther vorstoßcn. (Abb. 2.) Riesige, totumhalte Idole variieren die ldee ins Massive. Der männliche Kör- per spielt bei Moore quantitativ nur eine Rolle zweiten Ranges. Vor- nehmlich werden Gestürzte, Gefallene, Verkrüppeltc dargestellt, vernichtete Krieger, sozusagen die „Miinnchcn" der „Großen Mutter", die nach getaner Schuldigkeit dem Tode anhrimiztllcn. Auch das Menschenpaar (Abb. 1), manchmal als „König und Königin", manchmal in seiner Elternrollc zeigt in denkmalhaftcr Monumentalitat das An- ders-Scin der Geschlechter AndCrS-Scin in Aggressiv tt mündet. zeigt das kleine Gebilde „Thrcc Pointe" (193140), eines der radikalsten Zerstö- rungssymbole, die in neuer Zeit geschal- lvn wurden. - Der Ausstellung der Ostci hischen Kulturvereinigung ist es entschieden ge- lungCn, uns das Wesentliche in Moore an Hand einer großen Reihe rr "asen- tativer Werke nahezubringcn. liin un- verschuldet großes Manko allerdings haltet ihr an, nämlich die Tatsache, daß die Werke im geschlossenen Raum und nicht im Freien gezeigt werden. Moore selbst hat immer wieder betont, wie we- sentlich ihm das Zusammenspiel zwi- schen Kunst- und Naturform erscheint. Unser Abbildungsmatcrial versucht. hier als Ersatz einzuspringen. Dr. Köller 2 1 Zwei sitzende Figuren, 1952 53, Gips, Höhe 164 cm. 2 Stehende Figur, 1950, Bronze. Höhc 220,5 cm. Au: dem Besitz der Galerie Scbebesta Wien I, Plankcngnsse 7: johann Baptist Reiter (1813 bis 1890), „Heimkehr vom Einkauf" (Die Toch- ler des Künstlers), Ol auf Leinwand. 77 X 60 cm, sig. B. Reiter. Reiter, einer der geschätztestcn Gesell- schahsporträtistcn seiner Zeit, schuf auf der Höhe seines Lebens das ebenso zin- mutige wie frische Bild seiner Tochter. Das Gemälde wird in dem zu Weihnach- ten dieses Jahres bei Wolfrum erschei- nenden Werk über Alt-Wiener Malerei von Bruno Grimsehilz veröffentlicht Aus der Galerie Herbert Asenbaum „Zum Antiquar", WiCn1,Käl'nlflCl'bll' lße 28 Abb. I: Moses, Nußholz, Höhe 36 cm, Anfang 14. jahrhundert. Abb. 2: Aaron, Nußholz, Höhe 36 cm. Anfang H. Jahrhundert. Diese beiden Plastiken des Bruderpaares Aziron und Moses stammen von einem jener Propheten und Apostclzyklen. die zumeist in typologischer Anordnung rm den großen Altären zu Anfang des 14. Jahrhunderts üblich waren und des- sen prominenteslcs Beispiel der Hochk- nllar der Oberwelser Stiftskirche Unse- rer Lieben Frauen ist, der 1308 begon- nen wurde. Obwohl bei den beiden Fi- guren noch in lrühgotischcr Art Kör- per und Gewand durch die Schultern hochgezogen wird, läßt sich doch be- reils in der Körperhaltung die „S„-Li- nie der Hochgotik erkennen. Verinner- lichter Ausdruck im Antlitz, Fnltenge- hung und Körperhaltung weisen auf das Rheinland hin, in die Umgebung von Köln und in die Nachfolge der durch die Kölner Domapostel geprägten Ty- pen. Ein verwandtes Beispiel ist die Heiligenfigur aus Filsen bei Boppard im Kölner Schnültgen Museum.