DIE HERKUNFT DER RAUMGESTALT DES SALZBURGER DOMES WALTHER BUCHOWHLCK] Die Baugeschichte der barocken Kathedrale zu Salzburg, die Hermann Bahr als den „schönsten Dom Italiens auf deutscher Erde" rühmtJ hat wegen ihrer nicht immer durchschaubaren Komplikationen seit je der Forschung ein gern gewähltes Thema gestellt. Als besondere Aura umschwebt den großartigen Bau, seit Riegls Studie über „Salzburgs Stellung in der Kunstgeschichte", die These, Erzbischof Wolf Dietrich hätte „eine Variante der neuen Peterskirche in Rom" an die Stelle des romanischen Mün- sters setzen wollen! Von dem erst unter Erzbischof Mar- cus Sitticus in Angriff genommenen Dombau verkündet Riegl ebenfalls, daß „St. Peter zu Rom auch für diesen als Vorbild gegeben war"? Die Ansicht, daß der „am reinsten italienische Monumentalbau nördlich der Al- pen": zu den engsten Verwandten von St. Peter gehört, hat sieh allgemein durchgesetzt und klingt noch in der Apotheose nach, mit welcher L. Bruhns den Dom ge- feiert hatß Das alte Epitheton Salzburgs, „deutsches Rom", mag der Ansicht, die Kathedrale des Primas von Deutschland sei ein Zwilling der römischen Peterskirche, Nahrung geliefert haben. Inwieweit der Dom und die größte Kirche der Christenheit baugestaltlieh verwandt sind, läßt ein Blick auf die Grund- risse an gewissen Ähnlichkeiten erkennen (Abb. 2, 3). Sind diese Entsprechungen zufällig, sind sie bewullt angestrebt, vom auftraggebenden Kirchenfürsten dem planenden Architekten zur Bedingung gestellt, vom Bau- meister selbst in Vorschlag gebracht, oder in der Begeg- nung von Bestellerwunsch und Architektenabsicht Wirk- lichkeit geworden? Diese Fragen beantwortet die Ent- stehungsgeschichte des Domesf die hier um bisher un- beachtete Zusammenhänge bereichert werden soll. Von einem ersten Domentwurf hören wir zufällig: „am 18. September 1601 kann schon des Fürsten Schwager eine Skizze dem neugierigen Bayernherzog übermit- teln" s. Wir wissen nichts über das Aussehen dieses Plans, kennen auch den Namen des entwerfenden Meisters nicht und gehen wohl nicht fehl, daß es „ohne Zweifel ein Ita- liener war"," der dem Erzbischof einen Bau modernster Art angeraten haben wird. Im Winter 1603[4 weilte Vincenzo Scamozzi in Salzburg, und es steht außer Zwei- fel, dall die Dombausorgen des Erzbischofs eingehende Erörterung erfahren haben werden. lVlit dem Auftrag, Projekte auszuarbeiten, wird Scamozzi in seine Heimat zurückgekehrt sein. Dali Wolf Dietrich diesem Archi- tekten gewissermaßen den Auftrag erteilt hätte, cinc Replik des römischen St. Peter zu entwerfen, spricht nur Riegl aus? Immerhin zieht das gesamte übrige Schrift- tum den Grundrifl Scamozzis für den Salzburger Dom, der mit August 1606 datiert und uns erhalten geblieben ist (Abb. S), so ausgiebig mit dem Plan von St. Peter in Vergleich, daß der Hintergedanke durchleuchtet, eine bewußtc Inspiration von Rom her annehmen zu müssen. Daß jedoch die 1606 noch unvollendete Peterskirche, deren weiteres Schicksal - Zcntralbau oder Längsbau - damals sogar noch ungewiß war, keineswegs Vorbild für Seamozzis schon früher konzipiertes Domprojekt ge- wesen sein kann, hat erstmals R, K. Donin überzeugend herausgearbeitetF Schiirfstens zurückzuweisen ist die öfters geäußerte Ver- mutung, Scamozzi (und Solari) hätten beabsichtigt, mit den Rundungen von Quersehiff und Hauptchor eine Erinnerung an den romanischen Dom zu bewahren." Derart sentimentale Anwandlungen wären, wie F. Mar- tin mit Recht betont," Wolf Dietrich fern gelegen und dürfen auch aus dem Vollen schöpfenden Architekten der Zeit nicht zugemutet werden. Donin hat zur Interpretation der Domcntwürfe Scamoz- zis auf die venezianische Architektur und die Abhängig- keit des Künstlers von Palladio verwiesen? und damit Wege beschritten, die schon F. Martin mit dem Hinweis auf Ähnlichkeiten mit S. Giustina zu Padua aufgezeigt hatte!" Für die Berührung mit Palladio genüge ein Hin- weis auf die halbrunden Querschiffschlüsse von S. Gior- gio Maggiore und den Trikonchos bei ll Redentore in Venedig. S. Giustina darf sogar weitgehend als Vorform von Scamozzis Domplan betrachtet werden, nur ist sein Entwurf, rein als geometrische Figur bewertet, im Ver- gleich mit der paduanischen Kirche harmonischer, aus- gewogener und gefälliger (Abb. 6). Der Gesamtraum von S. Giustina ist renaissancehaft additiv, mit Eigenleben auch der Nebenräume; Scamozzis Plan aber barock divi- siv, er beschränkt sich auf das Wesentliche und steigert es, indem das kleinteiligc Beiwcrk weggeschnitten wurde (Abb. 7). [)ie Herkunft von Palladio verbindet entfernt sogar Christopher Wrens Paulskirche zu London mit dem Salzburger Projekt! Scamozzi hat seinem Dom gigantische Ausmaße zuge- dacht; vielleicht, weil er - ähnlich wie die Domherren von St. Peter zu Rom - mit dem Neubau das geheiligte Areal des alten Münsters überdecken wollte; vielleicht, weil er, von seiner Heimat her an Zwergdiözesen ge- wöhnt, vom Reichtum des Erzstifts größte Leistungen erwartete. Mit 139m Länge hätte die Kathedrale S. Giu- stina (Länge 118,5 m) weit überboten. Scamozzis Dom würde in der Stufenleiter der Kirchenlängen, wie sie im Mittelschiff von St. Peter zu Rom vermerkt sind, zwi- schen der Kathedrale von Reims (138,69 m) und Sacre- Coeur zu Brüssel (140,94 m), also an vierter Stelle ran- gieren. Wolf Dietrich hat die Risse Scamozzis nicht akzeptiert und 1610 zu einem Dom geringerer Größe den Grund- stein gelegt. Wir kennen weder den Namen des planen- den Architekten (Giacomo Bertoleto, Francesco de Gre- goriis?)," noch Entwürfe oder Angaben über diese. Ver- mutungen über ein mögliches Verhältnis zu den ldcen Scamozzis sind unbeweisbare Kombination. ln Fluß kam der Dombau erst unter Erzbischof Marx Sittich, der die 1610 versenkten Grundfesten herausreißen ließ und sich neue Entwürfe von Santino Solari besorgte. Die Grund- steinlegung erfolgte am 1-}. April 1614, die feierliche Weihe nahm Erzbischof Paris Lodron am 28. September 1628 vor. Diesen Dom kennzeichnet, daß die Seitenschiffe gegen- über dcm machtvoll ausladenden Mittelraum geradezu verkümmert erscheinen und im Hinblick auf die engen, türartigen Durchgänge, zusammen mit den seichten Al- tarnischen fast zu geräumigen Längskapellen umgedeutet werden. Die Kuppel ist außen und innen aehteckig (Abb. 3). Wir mußten deshalb auf die Entwürfe Scamozzis ein- gehen, weil dem bestehenden Dom nicht nur wieder eine