scher und künstlerischer Hinsicht. In Limoges hat man dann im folgenden Jahrhundert ein Devotio- naliengeschäft großzügigster Art unter völliger Ver- nachlässigung der Qualität aufgezogen. Und alle Welt kaufte die Reliquienkästchen, Buchdeckel, Krummen, Pyxiden etc. Rupin schreibt in seinem Werk über das Limousiner Email (S. 171): „Des le Xllle siecle la fraude s'etait introduite en France et specialment dans l'orfe'vrerie parisienne d'une maniere excessive. On denaturait les me'taux par des alliages et des compositions frauduleuses. On dorait et on argentait des obiets en laiton et en etain, on melangeait du plomb, de l'etain et du cuivre blanc (arseniaire de cuivre) pour composer un metal ayant toute Papparence de l'argent pur et le tout se vendait eHrontement au titre de l'or et de Pargent. Les pierres precieuses etaient elles-memes falsifiees et on en fabriquait avec des pätes et des verres colores." Bei den mittelalterlichen Limogesarbeiten spürt man die fast fabriksmäßige Herstellung im Email, in den aufgelegten Körpern oder Köpfen, die fast immer die gleichen sind, in der sparsamen Ver- goldung, in der Art, wie die Firstkämme der Kästchen behandelt sind (Abb. 11). Um 1760 erfand Thomas Boulsover in Sheffield ein Surrogat, aus dem sich rasch eine große Industrie entwickelte. Er erfand das Aufschmelzen von Silber auf Kupfer, ein Vorgang, der dann im 19. Jahrhun- dert auf elektrolytischem Wege erfolgte. Um das Surrogat nicht auf den ersten Blick zu verraten, wurde bei der Herstellung von Gefäßen die Schnitt- kante mit einem Silberdraht bedeckt, für Mono- gramme und Wappen wurden Silbertäfelchen auf- gelötet; in den ersten Jahren wurden die Gefäße aus Sheffield Plated sogar noch mit Punzen ver- sehen. Das Glas diente von alters her als Ersatz für Halb- edelsteine nicht nur in Form von kleinen Pasten und Perlen, sondern von ganzen Gefäßen. Schon unter den Gläsern der Antike finden sich solche aus farblosem oder buntem Glas, meist flache Schalen, die in eine Form gegossen und dann ab- gedreht wurden. Auch die mehrschichtigen Kameen haben es den antiken Glaskünstlern angetan, sie verwendeten diese als Vorbilder für Prunkgefäße wie etwa die Portlandvase. Daß den antiken Stein- schneidern die Glaspasten als Material nicht zu minder waren, zeigt der blaue Cäsarenkopf im Kunsthistorischen Museum in Wien. Im nahen Osten dient das dickwandige Glas immer wieder als Ersatz für Bergkristall: Syrien 5. bis 6. Jahr- hundert; kleine Flakons, Ägypten, 9. Jahrhundert (Abb. 12); die sogenannten lledwigsgläser, Ägypten, 12. Jahrhundert. Den Bergkristall ersetzen sehr wohl die Hochschnittgläser vom Beginn des 18. Jahr- hunderts und die dickwandigen Schliffgläser aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch die Nach- ahmung der bunten Halbedelsteine stirbt nicht aus; jede Epoche der Glasmacherkunst hat ihre beson- deren Neigungen: die Antike das Achatglas, Venedig das Jaspisglas, das 17. Jahrhundert das Rubinglas, das 18. und 19. Jahrhundert das farbig marmorierte Glas. Auch bei den Techniken der Glasveredelung gibt es zeitweise Surrogate, z. B.: kalte Bemalung statt des Ilmaildekors, statt des Schneidens mit dem Rad das Aufätzen mit Säuren, die Behandlung mit dem Sandstrahlgebläse; statt des Überfangens das Streichen als wesentlich billigeres Verfahren, und schließlich setzte Amerika an die Stelle des Schleifens das Pressen. 28 Auf dem Gebiete der Keramik dient in manchen Gebieten einige Generationen hindurch die Mezzo- majolika (Abb. 15) mit der billigeren Bleiglasur als Ersatz fiir die Majolika. , Über die Surrogate für richtiges Hartporzellan (Milchglas, Fayence, Fritte, Bonechina) braucht man wohl nichts Ausfiihrlicheres zu sagen, sie sind oft genug besprochen worden. Überraschend ist nur, daß man etwa zwei Generationen, nachdem die lange erstrebte Herstellung von Hartporzellan ge- lungen war, diesem einen Ersatz im Steingut 7 billigere Masse, billigere Brände I zur Seite stellte. Beim Möbel beginnt die Ersatzwirtschaft mit dem Furnieren, das Furnier dient zur Vorspiegelung falscher Tatsachen, eine harte Haut f seit langem eigentlich nur mehr ein Hauch i über weichem Knochenbau. Auch die lntarsia konnte ersetzt werden durch die Verwendung von Schablonen oder durch Malerei (Bernardo Luini in Sta. Maria delle Grazie in Mailand). Bei den französischen Renaissancemöbeln kann es vorkommen, daß ein- gegrabene ornamentale Linien nicht mit einer anderen Holzart, sondern einfach mit einer Teig- masse gefüllt wurden. An Stelle des teuren Schild- patt, das bei fürstlichem Mobiliar im 18. Jahrhundert so gerne verwendet wurde, setzte man Wurzelmaser oder man goß die Zwischenräume der Messing- auflagcn mit einer asphaltartigen Masse aus. Fiir kleine Kästchen hatte man schon im frühen Mittelalter gerne Elfenbein verwendet, anfangs als aufgelegte flache Plättchen, oft mit einfacher Be- malung, später wurde der ljlfenbeinbelag mehr oder weniger reich geschnitzt. Dafür fand man in ltalien im 15. Jahrhundert einen Ersatz in den Pastiglia- kästchen; entweder wurden ganze XVandungen und Deckel aus einer teigartigcn Stuckmasse aus Formen ausgequetscht und auf dem Holzkern des Kästchens befestigt, oder man setzte den Dekor aus kleineren Reliefs zusammen; Vergoldung und Bemalung wurden zur Verschönerung beigesteuert (Abb. 13). 1m Gegensatz zu den Brettsteinen der deutschen Renaissance wurden die Brettsteine des Barock ge- prägt, und zwar wie Münzen oder Medaillen mit einer Avers- und Reversseite; meist wurden die Prägestöcke von Medaillen auch fiir die Herstellung der Brettsteine verwendet, so daß man die Brett- steine in ganzen Serien herstellen konnte (Abb. 15). Ein Surrogat, ohne das man sich die Barockarchi- tektur Süddeutschlands und Österreichs nicht vor- stellen könnte, ist der Ersatz polierter Steinarten durch marmorierten Stuck. Hier übertrumpft das Surrogat den echten Stein; die Beweglichkeit und Möglichkeit in der farbigen Ausstattung und Farb- abstimmung war ja bei den Meistern des Kunst- marmors weitaus größer als bei dem von der Natur gelieferten Stein. Gelegentlich konnte der farbige Stuck auch für Fußböden verwendet werden (Abb. 16) und war ein würdiger Nachfolger des antiken Mosaiks und des byzantinischen Opus sectile. Das alles sind Surrogate, auf die man in der Ge- schichte des Kunsthandwerks immer wieder stößt, und die Liste ist damit sicherlich nicht erschöpft. Und wenn uns heutzutage ein neuauftauchendes Surrogat verdrießt, so müssen wir an die Worte des Predigers denken: „Was gewesen ist, das gleiche wird sein, und was geschehen ist, das gleiche wird geschehen, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne. Und geschieht auch etwas, von dem man sagt: Siehe, das ist neu, ist's doch zuvor auch ge- schehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind."