ln uns tief drinnen liegt der Kern unseres Menschseins, meist verkopselt und durch konventionellen Zwang verdrückt, immer aber zum Lichte drängend. wie eine iunge Pflanze, die von den auf den Samen liegenden Steinen verkrümmt und verbogen wird und die doch aus dem Dunkel der Erde hervorbricht. Sie ist in ihrer Anlage ein Wunderwerk. gut. heil und ebenmäßig. Stein für Stein müssen wir darum von ienem auf der Oberfläche liegenden Schutt wegnehmen. auf daß sich auch unser von Natur aus heiles Sein reicher und freier entwickeln kann. Denn im Grunde ist alles Seiende ein Strömen in einem großen Strom. eine Bewegung, eine Entfaltung aus einem gemeinsamen Urstoff. Die einzelnen Erscheinungen dieser Emanation sind aber unbegreiflich und formgeschlossen, ebenso wie etwa die Erosionsformen eines Wildbaches, die Schneeverwehungen auf einem Gebirgsgrat oder das zarte Gespinst der Eisblumen auf den Glasscheiben eines Fensters. An diese Formen versucht nun der Bildhauer Hermann Walenta mit seinen Arbeiten anzuknüpfen, Es ist natürlich kein zufälliges und der Laune eines verschrobenen Menschen entsprungenes Anknüpfen, wie vielleicht der Laie oder der abseits stehende Beobachter glauben könnte, sondern eine von einem Monopsychismus beseelte Geisteshaltung, die der Künstler mit manchem Mystiker des Mittelalters, etwa mit dem Meister Eckhart, aber vor allem mit den Denkern des Fernen Ostens gemeinsam hat. Dieser Glaube an eine äußerliche Abwandlung einer einzigen großen Seelensubstonz macht es uns verständlich. daß Walenta alle Möglichkeiten, die in dem .,Urstoff" enthalten sind, in der Hyle, wie sie Aristoteles verstand. aufzuspüren und zu gestalten bemüht ist, In seinem Ordnungsgefüge sind daher auch Pflanze und Stein, Tier und Mensch eng verwandt. und aus diesem Emp- finden des Künstlers entstehen Gebilde, die Elemente verschiedenster Seinseinheiten in Anklängen aufzuweisen haben. Vorwiegend zeichnen sich pflanzliche Proiektionen ab. Wie es im geistig-seelischen Bereich durch dieses die verschiedenen Erscheinungen nebeneinander Auf-eine-Stufe- Stellen keine Wertung gibt, so gibt es auch in Walentas Kunst keine Wertung. sondern nur ein Aufzeigen. Aus dieser geistigen Haltung heraus ist es verständlich, wenn der Künstler sagt: ,.lch will nichts! Das Selbst will alles!" Da man, wie Walenta meint, vom Denken her nur zur Oberfläche der Dinge dringen kann. ihre wahre Natur aber in ihrer Körperlichkeit liegt i wie verständlich ist dieser Gedankengang bei einem an der körperhaften Materie arbeitenden Künstler! -. dürfen wir auch nicht mit dem Verstand. dem lntellekt, an diese Plastiken herangehen, sondern müssen sie mit dem Gefühl zu erfassen versuchen, Die entscheidende Wendung in dem Schaffen des Bildhauers brachten die Jahre nach 1948, die der 1923 in Drosendort in Niederösterreich geborene Künstler, der ursprünglich, ebenso wie sein Vater, für den Lehrerberuf bestimmt war. in Alpbach in Tirol verbrachte. Hier in der Abgeschiedenheitvon der Welt und im Gegenüber mit den täglichen Wundern der Natur entwickelte sich seine schöpferische Substanz zu einem eigenen Gestaltungswillen. Zeigten seine Arbeiten bis dahin noch gewisse Beeinflussungen durch die auf der Wiener Akademie bei Professor Müllner und später bei Professor Wotruba erworbenen Kenntnisse, so begann Hermann Walenta langsam immer mehr und mehr zu seiner eigenen Aussage zu finden. Seine frühen Arbeiten erinnern stark an die starren. einfach bewegten Körper von Hermann Blumental. Auch in ihnen spürt man das Bemühen über eine strenge Formabstraktion des archai- schen Menschenbildes zu einer neuen Gestaltung zu kommen. Dabei werden die verschiedenen Formen, sehr unterschied- lich von der Arbeitsweise seines Lehrers Wotruba, weich und schmiegsam gehandhabt. Noch finden wir aber das Abbild des Menschen durchaus gewahrt. Später erst. etwa ab 1951, werden die Formen immer freier, vom konkreten Gegen- stand losgelöster. Wohl kann man noch immer in diesen Schöpfungen die Struktur eines sitzenden Menschen ahnen, wenn auch der Kopf zu einem verdickten. stengelartigen Ding zusammengeschrumpft ist, der über Arme und Beine ragt. die glattpoliert, polypenortig verschränkte und verschlungene Gebilde sind, die aber im ganzen betrachtet ein ausgewogenes Kräftespiel bieten, Eine andere Plastik aus diesen Jahren, sie befindet sich heute in einer kleinen Grünanlage in der Billrothstraße im 19. Wiener Gemeindebezirk. erweckt die Vorstellung eines breithingelagerten Beckens, über das sich ein zusammen- geschrumpfter Oberkörper verneigt. Doch verlieren sich diese Anklänge an die menschliche Körperhaftigkeit immer mehr und mehr. Ein freies Auswiegen der verschiedenen Werte. ein Auswiegen von Masse und Durchbrechung, Zug- und Schubkräften. Lasten und Schweben. ließ eine Anzahl Werke entstehen, die in ihrem keimhaften Emporsprießen mit pflanzlichen Eigenschaften. aber durchaus nicht mit pflanzlichen Erscheinungen. sondern eher mit dem sich im Frühling beim Aperwerden ergebenden Auflösungsformen des Schnees korrespondieren. Ein solches die Erde befruch- tendes. an Schneereste gemahnendes Gebilde hat der Künstler in einem seiner Werke fein ausgewogen und durch- geformt einem schenkelartig geöffneten Teil senkrecht aufgesetzt, so von der ewig sich erneuernden Befruchtung und dem aus dem Boden sprießenden Wachstum zeugend. Die Durchbrechungen im größeren senkrechten Teil lassen den Betrachter die Landschaft, die Natur, in der das Obiekt aufzustellen gedacht ist, sehen und beziehen solcherart das Symbol rückbindend in jene Substanz ein, aus der alles geworden ist. Mit diesem Werk, und schon mit gewissen Anklängen auch in einigen früheren Plastiken, scheint ein wesentliches Merkmal dieser Schaffensperiode Walentas geprägt: das große optimistische Vertrauen zu den zeugenden und ge- bärenden Kräften und damit zum Leben selbst. Diese auf das Unterbewußtsein basierende Haltung finden wir über- haupt bei vielen zeitgenössischen Bildhauern, etwa bei Jean Arp. mit dem Walenta auch die Weichheit und Glätte der Formen gemeinsam hat und von dem er vielleicht zum Teil beeinflußt wurde. Seine Aussageformen sind jedoch weitaus gefächerter, graziler, perforierter als jene des großen Züricher Meisters. Diesen zeugenden und gebärenden Kräften verleiht also Walenta in verschiedenen Variationen Ausdruck und Gestalt. Nicht bei jeder Plastik kommt das so offensichtlich wie bei iener kurz skizzierten zum Durchbruch, ist aber fast überall keimhaft vorhanden. So sehen wir es etwa in ienem geschlossenen, muschelähnlichen Gebilde. das sich nach einer Seite zu öffnet. in der Mitte noch durch ein an ein Kerngehäuse erinnerndes Astwerk zusammengehalten wird. während auf der Muschelrückwund einige runde Löcher sind, die das Licht in die t-löhlung fallen lassen, oder bei jener Plastik. die im Litllpark in Hernals zur Aufstellung kam und die der Künstler „Flora mystika" nannte. Hier streben laschenförmige Arme in einer Gebärde des Öffnens. des Wachsens und Ausspreizens von einem Punkt auseinander, immer neue, mit weichen, am Ende abgerundeten Formen. Man wird an mit Zeitraffern gezeigte Filmaufnahmen von erblühenden Blumen erinnert, Ein anderes großes Werkstück, 1956 entstanden, weist eine Anordnung tropfsteinartiger Gebilde auf. Sie sind oben verdickt und rund und weiter unten durch Stege, die von eiförmigen Löchern unterteilt sind, zu einer einheitlichen Gruppe zusammengefügt. Diese Plastik ist eine einmalige Erscheinung in Walentas Schaffen und macht einen entschieden männlicheren Eindruck als seine sonstigen Schöpfungen. Hier klingen phallische Motive an und werden mit elementaren Naturformen verschmolzen. Meistens bildet der Künstler diese Figuren aus Kunststein, dessen Oberfläche er immer sehr sauber poliert. lm Grunde ist das aber eine Notlösung. Zur richtigen Aussage kämen alle diese Formungen erst, wenn sie. wofür sie von Walenta meistens gedacht sind. in Metall gegossen wären und so mit ihren spiegelglatten Flächen eine ganz neuartige Wirkung erzielten. Die hohen Herstellungskosten und Mciterialpreise machen aber dem Bildhauer eine solche Durchführung leider noch nicht möglich. obwohl seine Arbeiten auf internationalen Ausstellungen bei den Biennalen von Venedig und Tokio, auf einer Schau im Middelheimpark in Antwerpen, in München, Rom und Paris Anerkennung fanden und ihm vor kurzem bei dem internationalen Wettbewerb von Monte Carlo der Preis von San Remo 1962 zuerkannt wurde. Eine ausgesprochene Steinarbeit ist Walenta vor einiger Zeit bei dem Symposion von St. Margarethen gelungen. Es ist ein mächtiges, aus der Eiform entwickeltes. mit seinen verschiedenen Durchbrechungen und Stegen äußerst aus- gewogenes, feinpoliertes Gebilde, das in seiner Geschlossenheit gleichzeitig an Geborgenheit und Urkeim, aber auch an Ausdehnung und Einbeziehung erinnert und eine ungeheure magische Ausstrahlung hat. Im Besitz des Künstlers sind auch eine Menge Gipsmodelle zu Arbeiten, in denen Walenta Metallstäbe in tyraförmiger Folge in einen räumlich gut durchkomponierten Steinteil eingesetzt hat. Diese Gegenstände scheinen sehr labil, als wollten sie sich in die Luft erheben. In die Gruppe gehört sicher auch noch der Entwurf des Künstlers. den er.,Schreitende Organismen" genannt 1 ALOIS VOGEL Der Bildhauer Hermann Walenta Vor kurzem wurde dem Künstler Hermann Walenta bei dem internat. Wettbewerb von Monte Carlo der Preis von San Remis 1962 zuerkannt.