Die Erscheinung, deren Beine brennende Säulen usw. sind, bedeutet also in Dürers Auffassung den Gott der Sonne und der Prophezeiung Apollo und zugleich den Starken Engel. Dieser letztere wird sich mit einer starken Stimme wie ein briillender Löwe ankündigen und schwören, daß es keine Zeit mehr geben werde (10, 3, 69). Die Apokalypse besagt weiter über den Starken Engel, daß sein Antlitz wie die Sonne sei (10, l). Über den Delphin, die Schwäne und die Schiffe sagt sie aber nichts. Das kann nur durch eine allegorische Verbindung der heidnisch- mythologischen Sage mit der christlichen Offenbarung zustande ge- kommen sein. Zu einer solchen Verbindung stand im Mittelalter der Weg immer offen. Auch die christlichen Wahrheiten wurden damals durch Zitate aus den heidnischen Philosophen bekräftigt. ln der huma- nistischen Bewegung und in der sogenannten Renaissancephilosophie des 15. Jahrhunderts wurde Übereinstimmungen zwischen dem Inhalt der heidnischen und der christlichen Symbolik eine außerordentliche Bedeutung beigemessen. Man erblickte in den verschiedenen Welt- religionen, insbesondere der jüdischen, christlichen und antik-heid- nischen, nur verschiedene Allegorien desselben geistigen Inhalts. Es war Aufgabe des Humanismus, mit Hilfe der philologischen Kritik einen gemeinsamen Kern der verschiedenen Auffassungen zu Enden. Damit beschäftigte sich eifrig Konrad Celtes, der Führer der deutschen Humanisten der Dürerzeit, für den Dürer um 1500 eine Reihe von Illustrationen (auch auf das apollinische Thema) anfertigte. Hierbei handelte es sich um komplizierte Allegorien in Celtes' persönlicher Auffassung. Der Besteller war jedoch mit den Zeichnungen nur selten zufrieden4). Die Verbindung der heidnischen und christlichen Alle- gorie in der Dürefschen Darstellung des Starken Engels weist also auf Celtes hin. Er war das Haupt der Humanistensodalitas am kaiserlichen Hof in Wien und gleichzeitig Organisator einer großen Propaganda- kampagne für den Feldzug gegen Rom, den Kaiser Maximilian führen sollte. Denn die bisherige Weltherrschaft des Papstes sollte durch die weltliche Erneuerung des römischen Imperiums ersetzt werden. Seine Propagandisten beriefen sich unter anderem auf die chiliastischen Prophezeiungen, die im Sinne der Apokalypse die Ankunft des tausend- jährigen Reiches Christi ankündigten. Die dem Humanismus ent- gegenkommende Richtung des Chiliasmus behauptete, daß ein mächtiger Herrscher, dem die ganze Erde gehören werde, das tausendjährige Reich einleiten würde. In den Kreis dieser Sagen gehört auch die Er- klärung des Diirer'schen Starken Engels. Die Chiliasren monarchistischer Richtung hielten diesen Starken Engel für den mächtigen Herrscher. Er sollte am Ende der kummervollen Zeit die „Letzte Schlacht" liefern, in der die Guten die Bösen und die Unterdrückten die Unterdrücker schlagen werden. Dieser Herrscher wird der Sage nach 91 Jahre lang leben, und sein Grab wird im Heiligen Land liegen, das er befreien wird. Er wird die entzweite Christenheit wieder vereinigen, die Gegner des Glaubens im Orient unterwerfen und mit Steuer belegen, seine Herrschaft auf dem Festland sowie auf dem Meer befestigen und schließlich die freie Durchfahrt für alle Schiffe sichern. (Vergleiche die Schiffe auf der Illustration Dürers.) Er wird die wahre Religion festigen und in der Kirche Ordnung schaffen. Die Beine des Dürefschen Starken Engels sind zwei brennende Säulen, die der alten Tradition zufolge Stärke (hebräisch jarbin) und Du bist stark (Boag) heißen5). Die eine steht auf dem Festland, die andere im Meer. Die rechte Hand des Engels weist auf das Symbol des göttlichen Gesetzes, die Bundeslade, hin, die linke reicht dem Propheten das Gesetzbuch, damit er es verschlinge, das heißt sich aneigne. Das Albru x fcrus ca Im: (Allcgur ). Kupferstir - 1503 5 Stci elief der ' lprßfkßil aus dcm Zyklus d: