Schema der ganzen Bewegung hat die Form des hebräischen Buch- stabens „Alef", der nach der damals eifrig von den Humanisten studierten Kabbalah bedeutet: Wie es oben ist, so ist es auch unten, und wie es unten ist, so ist es auch oben. lm gegebenen Zusammen? bang heißt das die Verwirklichung des (iottesgesetzes auf Erden durch den Starken Engel den „Letzten Herrscher". Die Caesaristen unter den monarchistischen (Ihiliasten glaubten, daß dies ein bereits regieren- der Kaiser sein würde, die Papisten unter ihnen wollten den „Engels- papst" als llerrscher haben, die (Iaesaropapisten den Papst und Kaiser in einer Person. Wichtig für unsere Analyse ist lediglich nur die humav nistischc und zugleich antipäpstliche Linie, die alle Hoffnungen auf das erneuerte römische Kaiserreich setzte. Verfolgen wir nun in groben Umrissen die Entwicklung der Prophezeiung über den Starken Engel, den Letzten Herrscher, wie sie der Rücksicht auf die neuen, hoffnungs- vollen Anwärter angepaßt wurde. Manchmal nannte man gerade im Gegenteil einen schon lange vorher verstorbenen Herrscher, weil man das optimistische Vorhaben jener Kommentatoren der Apokalypse, die das tausendjährige Reich in der Zukunft und es nicht nur in der Geschichte der Christenheit erblickten, diskreditieren wollte. Gegen die kühnen Hoffnungen auf eine Umgestaltung der Welt im Sinne der apokalyptischen Weissagungen traten stets die Verteidiger der alten Ordnung auf. Dabei bedienten sie sich einer Erläuterung, die (dem heiligen Augustinus zufolge) diese Prophezeiung auf die Herr- schaft der Päpste bezog, und zwar seit jener Zeit, als die Kirche ihren illegalen Charakter verloren hatte und eine Stütze der Staatsmacht geworden war. Ein solcher Zerstörer der Illusionen war der Kirchenw apoltxget Alexander blinorita von Bremen um 1250. Zuerst teilt er die Bedeutung des Starken Engels unter die byzantinischen Kaiser Justinus l. und Justinian I. auf. Dann kehrt er noch einige Male zu dieser Stelle der Apokalypse zurück, um darin den Abt Benedikt und andere Brüder der Kirchenorganisation charakterisiert zu finden. Über Justinus und Justinian spricht er ihrer Verdienste um die Lehre und Verfassung der Kirche wegen und auch wegen der durch sie erfolgten Rückeroberung der afrikanischen Provinzen. Kaiser Justinian wurde zum Gottesdiener, weil er viele gute Einrichtungen gegründet und nach dem „oficnen Buch des Justinus" gelehrt hatte. So erklärt Alexander Minorita das Bild der Hand, die Johannes das Buch reicht. Die Kirche, hier vom heiligen Johannes vertreten (Ioannes hic stat pro ecclesia), hat das Buch aus der Hand des Justinian empfangen. Damit wollte man sagen, daß ein großer Kaiser der Kirche eine richtige Verfassung geben würde, wie es der Chiliasmus immer von neuen und abermals neuen Nachfolgern des Justinian erwartete5). Die Prophezeiung vom Letzten Herrscher, der die Christenheit retten werde, wurde im hohen Mittelalter unter anderem durch die gefälschte, lateinisch geschriebene Prophezeiung des Abtes Joachim über das Königreich Böhmen bekannt. Dieses Literaturdenkmal, das mit einer Analyse von Ruth Kestenberg-(iladstein veröffentlicht wurde, enthält in erlesener humanistiseher Form charakteristische Zeichen der Tradi- tion des Starken Engels 7 des Letzten Herrschers. Es sagt einen brül- lenden Löwen mit zwei Schwänzen voraus, der in den deutschen Landen zur Zeit kommen wird. Die Prophezeiung betriHt die uns schon bekannte Stelle der Apokalypse, wo der Starke Engel wie ein Löwe brüllt, und meint konkret den böhmischen König Primislaus Ottokar Il., der den Löwen in das böhmische Wappen eingeführt hatte. ()ttokar, dieser wilde Löwenmensch, „homo ferus et leoninus", soll seine Herrschaft bis zum Atlriatischen Meer ausbreiten, das Morgen- land steuerpflichtig machen, den Schiffen freie Durchfahrt durch die Gewässer sichern (passagium faceret navibus) und die Barke des heiligen Petrus so bedrohen, daß sie beinahe versinkt. Er wird also zur Hoffnung Deutschlands, er wird die Nationen zähmen und „die Gipfel" ebnen, was wohl die Beschränkung der Macht der Feudalherren zugunsten des Alleinherrschers bedeutet. Er soll den Norden und Süden, den Osten und Westen, die ganze Christenheit einigen, auf daß es fürderhin nur „einen Hirten und einen Schafstall" gehe, er soll durch einen erfolg- reichen Kreuzzug das lleilige Land befreien und die Welt des Islam erobern. [ir wird 91 Jahre lang leben, und sein Grab wird im Heiligen Lande liegen. Diese Prophezeiung war auch Dürer, wie wir später nachweisen werden, noch bekannt. Nachdem König Ottokar auf dem Schlachtfeld gefallen war und die Erwartung sich nicht erfüllte, wurde die Prophezeiung auf andere hoffnungsvolle Herrscher übertragen. Darunter finden wir Heinrich Vll. von Luxemburg, an den sich Dante .1 Maximilian und Maria von Burgund. italienischt-i- Muuu-t, um 14:10. Burg Bouzuv u. Mährcn: Tclnpcta auf Holz wandte, und seinen Enkel Karl lV., auf den Petrarca und Cola di Rienzo ihre Hoffnungen setzten. Zur Zeit Karls IV. tauchten vielfach dem Kaiser und dem Papst unterschobene Streitverse auf, in denen die Frage gestellt wurde, wer das Haupt der Christenheit sein wird und ob es dem Kaiser gelingen würde, die Barke des heiligen Petrus zu bedrohen ß), damit es fürderhin nur „unum pastorem et unum ovile" gebe. (iegen Ende des 15. Jahrhunderts, zur Zeit des Erscheinens der Dürefschen Apokalypse, wurde Maximilian I. von Habsburg zum letzten großen Favoriten des Chiliasmus. Die günstigen Umstände am Anfang seiner Regierung verliehen ihm den Anschein eines außer- ordentlich begabten Herrschers, Beschützers der Kultur, Freundes des Bürgerstandes und Reformators der Verfassung. Liin Vergleich des Antlitzes des Starken Engels in der Dürefschen Illustration mit dem posthumen Kupferstichporträt Maximilians I. von der Hand des Lucas von Leyden und mit den bekannten Bildnissen des Kaisers aus Dürers graphischer Werkstatt beweist, daß es sich tatsächlich um diesen Herrscher handelt. Auch andere haben das Antlitz des Starken Engels, dessen Kopf von Thausing als „melancholisch" charakterisiert wird, wegen seines besonderen Ausdrucks ihrer Aufmerksamkeit für würdig befunden. Maximilian war bekannt als „MelancholikerT In der Apo- kalypse wollte Dürer diesen Maximilian, dem er später treu dienen sollte, verherrlichen 7). Beim Vergleich dieses wahrscheinlich imaginären Porträts mit dem späteren, schon von Dürer nach dem lebenden Modell gemalten Renaissancebildnis Maximilians I. müssen wir den zeitlichen Unterschied und die Möglichkeit, diesen Herrscher zu porträtieren, in Betracht ziehen. (Maximilian fuhr oft durch Nürnberg; als Vorbild konnte Dürer zwar ein anderes uns unbekanntes Bildnis dienen, kaum konnte er aber Maximilian unmittelbar porträtieren, wie es später „oben auf der Pfalz in seinem kleinen Stübli" ge- schah.) Vergleichsmöglichkeiten bietet auch das italianisierende Doppel- porträt Maximilians und der Maria von Burgund, das sich gegenwärtig auf der Burg Bouzov bei Olmütz befindet. Die Allegorie des Sonnenherrschers Maximilian auf Blatt Vlll der Apokalypse Dürers hat ihre Vor- und Nachgeschichte in der bildenden Kunst. Das Prinzip 7 zwei XWeltsätilen, die eine Weltsonne stützen 7 5