KRISTIAN SOTRIFFER Unzen! van Gogb und mein Einfluß in W722i Am 17. Januar 1903 wurde von der Wiener Secession eine außerordentlich umfangreiche, 260 Nummern umfassende lmprcssinnisten- Ausstellung eröffnet. Ursprünge und schließ- liches Einmünden in eine einerseits verfestigt- klare, klassische (Cezanne), anderseits ex- pressionistische Form (Van Gogh) wurden von ihr auf mustergültige Weise belegt. Julins Meier-Graefe, einer der wichtigsten Mit-Initiatoren dieser Ausstellung, hatte da- mals in Wien einen Vortrag gehalten, in dem er Vincent van Gogh und Toulouse-Lautrec, wie Ludwig Hevesi berichtet, „künstlerisch ungemein hoch" stellte. „Mit Recht allerdings", fügte Hevesi hinzu, „aber schwerlich unter Zustimmung des allgemeinen Wieners". He- vesi selbst aber konnte die Bedeutung Van Goghs und Cezannes gewiß noch ebensowenig erkennen wie das Publikum, für das diese Ausstellung immerhin ein miterlebtes Er- eignis blieb. S0 schrieb Hevesi über Cezanne, „den hier kaum gekannten", daß er mit seinem „rücksichtslosen Farbensehen" schockiere. In zwei Berichten (vom 30.1. und 12.2.1903) stützte er sich hauptsächlich auf „Edouard Manet und seine Leute" sowie die Nach- impressionisten. Über Van Gogh vermerkte er, daß von ihm fünf Landschaften zu sehen seien, in denen alles Hieße. Im übrigen seien dessen Bilder „natürlich ausgelacht" worden. „Er ist ein genialer Farbenseher, in dessen 26 Schläfen aber das Blut so Heberisch hämmert, daß alles Gesehene Svogt, wallt, flackert... kranke Bilder . . .". Eine jener damals ausgestellten fünf Land- schaften ist heute im hochgeschätzten Besitz der Modernen Galerie des Kunsthistnrischen Museums - das einzige in Österreich auf- bewahrte Ölbild Van Goghs: „Die Ebene von Auvers-sur-Oise". Das Bild wurde von der Secession erworben und noch im selben Jahr 1903 der Staatlichen Modernen Galerie, die gerade im Unteren Belvedere gegründet wor- den war, gewidmet. Hevesi, der im Mai über diese lang geplante und endlich realisierte Galerie geschrieben hatte, erwähnt diese zen- trale Erwerbung mit keinem Wort und geht auch noch 1906, als die Galerie Miethke eine große Van-Gogh-Ausstellung mit 45 Nummern zeigte, mit dem großen Maler nicht gerade glimpflich um. Dabei verkörperte gerade Hevesi die fortschrittliche öffentliche Meinung in Dingen der Kunst - ohne allerdings seine Wiener Mentalität je zu leugnen. Er führt den ganzen Van Gogh, dem er eine gewisse Hochachtung nicht versagte, dessen (iriöße er aber verkannte, auf eine seelische Erkrankung zurück, er sieht in ihm einen tragischen, ver- zweifelten Verrückten. Völlig anders hatte Hugo von Hofmannsthal reagiert, der bereits im Jahr 1901 im Brief an einen Freund in Berlin aus Paris von seiner Begegnung mit Bildern Van Goghs berichtete, von dessen Existenz er bis dahin nichts gewußt hatte: „Aber was sind Farben, wofern nicht das innerste Leben der Gegenstände in ihnen hervorbrichtl . .. Hier gab eine unbekannte Seele von unfaßbarer Stärke mir Antwort, mit einer Welt mir Antwort . . ." Die Ebene von Auvers-sur-Oise ist jene Land- schaft, die Van Gogh in den XWhchen vor seinem Tod am 29. Juli 1890 in zahlreichen Bildern festgehalten hat. Die im Juni 1890 entstandene Wiener Landschaft ist unter den übrigen, meist später, im Juli, entstandenen Bildern eine der ausdrucksstärksten und schönsten. „Es scheinen Kraftströme bloß- gelegt, die die Wellen des Ackerlandes in den Tiefenzug seiner Raumbewegung formen" (Novotny). Van Gogh malte es nach seinem letzten Besuch in Paris. ln drei Briefen an seinen Bruder Theo ist es erwähnt, in zweien davon skizziert. Wenige Tage vor seinem Tod malte Van Gngh vom Wiener Bild noch eine Variante. Am 30. Juni schrieb er an Theo, dem er von seinen neuen Bildern erzählt: „Dann die längliche Landschaft mit den Fel- dern, wic die in iNIichel, ihre Farben sind zartgrün und gelb und blaugrün"; und im Juli 1890: „Nach der Rückkehr stürzte ich mich in die Arbeit, aber der Pinsel liel mir fast aus den Händen. Da ich wußte, was ich wollte, malte ich trotzdem drei große Bilder.