Der dreiundzwanzigiährigc Carry Hauser kehrt im Jahre 1918 aus dem ersten Weltkrieg, der ihn als Offizier an der Front gesehen hatte, in seine Heimatstadt Wien zurück. Nicht nur, daß ein großes Reich zerfallen war, nicht nur, daß mit Umschichtung und Abwanderung ein völlig ver- ändertes Gesellschaftsbild sich dem jungen Heim- kehrer darbot, in diesen ersten und wirtschaftlich nicht gerade erfreulichen Wochen und Monaten der ersten jungen Republik galt es, Fuß zu fassen, einen Boden zu gewinnen, von wo aus das Leben in beiden Ebenen, der geistigen wie der ma- teriellen, bewältigt werden kann. Carry Hauser, den man von der Schulbank weg zu den Soldaten geholt hatte, wählt den ebenso schweren, wie verantwortungsvollen Weg eines freischaffenden Malers und Schriftstellers. Als Maler 7 und hier soll nur von Carry Hauser als bildender Künstler gesprochen werden --- gerät er in eine Welt des Aufbruches, einer neu gewonnenen Freiheit. lis ist aber auch eine Periode der Umwertung der Begriffe, ein Abschnitt der Neuordnung, der Neugestaltung. Eine Neigung zu bündischen Zusammenschlüssen bewegt die Künstler 7 und nicht nur die Maler. Es bilden sich Kunstverbände, von denen manche sehr ephemere Erscheinungen sind - es ist eine Welt expressivcr Aktivität. Aus solch einer Haltung heraus, ein von den ldcen der Zeit ergritfcncr Künstler, findet Hauser zu einem Verband, der immerhin eine, wenn auch plötzlich unterbrochene 'l'radition hat, zum Ha- genbund. 1900 gegründet, hat dieser in rund einem Jahrzwölft wesentlich zur Bildung einer modernen österreichischen Kunst beigetragen, war der damaligen Staatsform gemäß übcrnational und gesamtösrerreichisch eingestellt und hatte sich durch die betonte Förderung moderner Kunst, besonders aber durch die Sonderausstellung, auf der Kokoschka, Schiele, Wiegclc, Kolig und Gütersloh gezeigt wurden, den Ärger des Erz- herzog-Thrtwnfolgers auf sich gezogen, der über Wege und Umwege 1913 die Schließung und Auflösung des Hagenbundes erreichte. Zu diesem ncugcgründeten Hagenbund Endet Carry Hauser und fast volle zwanzig Jahre ist seine Kunst mit der iencr Mitglieder, wie Viktor Tischler, Josef Floch, Fritz Schwarz-Waldegg, verbunden. Die Kunst aber, die im Hagenbund gezeigt wurde, repräsentierte für die damaligen Begriffe die Zeitsituation. Ungleich der Seccssion und dem Künstlerhaus, war das Neue in den Aus- stellungen des Hagenhundes zu sehen, man zeigte den Expressionismus und den Kubismus, man fand die Vertreter des „Magischen Realismus" und später jene der „Neuen Sachlichkeit". Carry Hauser ist Vizepräsident des Verbandes und hat als Maler und Graphiker, besonders aber als Orga- nisator wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung, die kulturellen Veranstaltungen aber sind von Bedeutung für die Kultur unserer Stadt. Die ersten Werke, die Hauser dort vor die Öffent- lichkeit bringt, zeigen sofort das Prolil des Künstlers, das ihn fortan prägen sollte, eine religiöse und eine soziale Komponente, rnit andern Worten, ihn zeichnen von nun an zwei Stigmen. Stilistisch lebt das Werk des jungen Malers in einer Welt, die zwischen dem Magischen Realismus und dem Kubismus liegt. Die sehr realistisch gehaltenen Formen werden von Kristal- lisationslinien gegliedert und von diesen wie in einem Koordinatensystem getragen. Bei solchem Streben wachsen die geistig wie inhaltlich bedeut- samen Elemente, wie etwa Kopf und Hand, zur Größe an, während oft Körper und Umwelt in fast verkümmerter Form zum Nebensächlichen absinken. In den Ölbildern zeigt sich zudem e und auch späterhin - eine gläserne Klarheit, der Farbauftrag ist solcher Art, daß sich die Farbe an den Rändern zu stauen scheint. Mit diesen künst- lerischcn Einsichten und handwerklichen Medien hat sich Hauser Stilmittel erworben, mit denen er uns nun durch Jahre seine religiösen Dar- stellungen und seine sozialen Erlebnisse und Stellungnahmen vorträgt, mit denen er die Berührungen mit der Umwelt, sei es durch klar gesehene Porträts oder in gestaltcnvollen Kum- positionen widerspiegelt. Der „Nächtliche Wan- derer" von 1920, der in der traumhaft crhcllten Stadt von Versuchung und Laster umgeben ist, die „Fabrik" mit der gleicherart die Kreatur bedrohcnden Gewalt, sind ebenso die Themen jener Jahre, wie „Christus in Emmaus", wo er das Geschehen vollends in unsere Landschaft und in unsere ländliche Stube versetzt, nicht ohne Ausblick auf Schlängelweg und nachdenklich lauschender Magd, und endlich die oft und viel- fach abgewandelte Darstellung der Madonna. Ein wesentlicher Teil seiner künstlerischen Arbeit gehört in jenen Jahren der Darstellung der Kinder. Fast immer ist es ein Geschwisterpaar, das spielend oder nachdenklich vor sich hin- horchcnd, von dem Maler in die Bildfläche ge- hoben wird. - Menschen, die mit einem fragenden und nach außen tasrenden Blick diese Welt zu erfassen suchen. Freilich tauchen in diesen Kinder- bildcrn, besonders aber in jenen gegen Ende der zwanziger Jahre Elemente der „Neuen Sachlich- keit" auf, wie sie in jenen Jahren etwa Georg Schrimpf in München und Alexander Kanoldt in Berlin malte. Neben seinem Werk als Maler schaHt Carry Hauser an einem umfangreichen graphischen Oeuvre, es umfaßt die reine llandzeichnung wie die Druckgraphik. Vom Beginn seines künst- lerischcn Weges gibt es Blätter, Federzeichnungen, in denen mit einem sehr scharfen Strich die Gestalten und die Landschaften auf das Papier gebannt werden. Die Linien spielen hin und ballen sich zu Knoten, die funktionell erscheinen, sie breiten ein System über das Blatt, ein Kristall- gitter, das Leben und Sein zusammenhält. Die Druckgraphik, die schon früh und seither immer wieder gehandhabt wird, umfaßt alle druck- graphischen Techniken, den Holzschnitt, die Radierung und die Lithographie. Es entstehen Mappenwerke und Blockbücher, alle sind ge- tragen von seiner empfindsamen Erlebnisfähigkeit und seinem sehr ausgeprägten Stilwillen und der persönlichsten Formensprache. In den dreißiger Jahren schon wir Carry Hauser als Bühnenbildner tätig, so am Burgtheater, wo ct zu Franz 'l'he0dtir Czokors Stück „Gesellschaft der Menschenrechte" die Bühnenbilder entwirft, wir sehen ihn am Raimundtheater tätig, in der „Komödie" und in der „lnsel" in Wien, er gestaltet bildmäßig Festspiele in Wien und in Zürich. Wir finden aber darüber hinaus eine jener, für die österreichische Kunst so kennzeichnende Doppel- bcgabung, die im Bildhaften wie im Worte gleicherart und mit gleicher Eindringlichkeit zu Hause ist. Neben diesen Eigenschaften zeichnet ihn noch eine weitere aus, die nicht immer bei einem Künstler dominant erscheint, die Fähigkeit einer organisatorischen Konzeption. Schon früh, ehe er noch seine Fähigkeit im Hagcnbund für 47